Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
unsichtbaren Macht gezogen, aus dem Saal; das Gefolge und die Römer eilten ihm nach. Nur die Sklavinnen blieben verstört zurück, und Philipp, der noch gar nicht glauben konnte, was er eben gehört hatte. »Salome«, flüsterte er. »Was tust du?«
Tatsächlich tanzte Salome im Hof der Festung Masada. Sie wiegte ihre Hüften zur sanften Melodie einer Flöte und hörte auch nicht damit auf, als die Menschen sie umringten und ihr Stiefvater vor sie trat.
»Ja, tanze vor mir, Salome«, bat Antipas mit glasigen Augen. Wein und Speichel flossen aus seinen Mundwinkeln und tropften ihm auf die speckige, haarige Brust.
Salome überwand all den Ekel und Widerwillen, der sie erfüllte, und lächelte Antipas durch den dünnen roten Schleier an, der ihr vom Kopf bis zu den Füßen reichte und nur Stirn, Augen und Nase freiließ. »Was bekomme ich dafür?«
»Was du willst. Aber tanze, noch heute Nacht, sofort.«
»Ich bekomme, was ich will?«
»Ich sagte es doch. Alles, bis zur Hälfte meines Königreiches.«
»Schwöre.«
»Ich schwöre.«
»Schwöre, so dass es alle hören. Schwöre es dem Pilatus.«
»Ich schwöre«, rief er laut. »Sie soll haben, was sie begehrt, bis zur Hälfte meines künftigen Königreiches.«
»Schwöre es beim Namen des Einen und Unaussprechlichen Gottes.«
Rabban Jehudah war von der Menschenansammlung angelockt worden und trat neben Antipas. »Juden sollen nicht beim Namen Gottes schwören«, wandte er donnernd ein. »Denn das hieße, den Schwur höher zu stellen als Gott.«
Salome hörte auf, die Hüften zu schwingen. »So werde ich also nicht tanzen.«
»Nein, warte«, rief Antipas und hielt sie mit zitterndem Arm fest. »Tanze vor mir, Salome.«
»Schwöre zuerst.«
Antipas schluckte, atmete schwer, blickte sich nach Jehudah, Pilatus und Herodias um. Seine Gemahlin trat zu ihm, wobei sie Salome giftig ansah. »Ein solcher Schwur würde dich binden, Antipas. Also schwöre nicht. Ich hole dir so viele Weiber, wie du willst, Tänzerinnen, so schön und verdorben, dass alle Männer sterben würden, um sie ein einziges Mal zu haben. Ich schicke Kundschafter bis ans Ende dieser Welt, nach Indien, nach Nubien, zu den Berbern Afrikas, nach Süden ins Weihrauchland, die Seidenstraße entlang bis nach …«
Antipas stieß sie von sich. »Salome, ich schwöre beim Namen des Einen und Unaussprechlichen Gottes, beim Schöpfer der Welt, dass ich dir alles geben werde, was du begehrst, bis zur Hälfte meines künftigen Reiches. Und jetzt tanze endlich, tanze!«
Salome verzog den Mund zu einem feinen, fast unheimlichen Lächeln. Sie hatte, was sie wollte. Jetzt musste sie sich nur noch überwinden und das, was sie am liebsten tat, dem Menschen zeigen, den sie am meisten verabscheute. Daran führte kein Weg vorbei. Aber jeden Schritt, jede Drehung und jede Geste widmete sie Timon. Jeder einzelne Schleier, der fallen würde, fiel nur für ihren Geliebten und für das Leben mit ihm.
Salome ging in die Mitte des Hofes und wartete, bis die Leute sich in einem weiten Kreis um sie aufgestellt hatten. Weitere Musiker kamen herbei, die sie vorher instruiert hatte: ein zweiter Flötenspieler, ein lyra - und zwei Tamburinspieler.
Sie reckte die Arme in die Höhe und stand gerade wie eine Zypresse. Über ihr wölbte sich das tiefblaue Sternenzelt von der Wüste Juda bis zum fernen Meer. Fackeln warfen ihren zuckenden Schein auf Salome, und das Knistern ihrer Flammen betonte die Stille. Noch immer wehte ein warmer Wind aus Westen, der gelegentlich das Bellen eines Wüstenhundes mit sich trug und Salomes zahlreiche Schleier bauschte. Die Soldaten auf den Mauern verließen die Posten, nur um dieses Bild zu sehen, die Diener wurden den Wein für die Gäste nicht mehr los, weil niemand sich rühren wollte. Die Menschen hielten den Atem an und starrten auf Salome, nur Jehudah schloss gelegentlich die Augen, unsicher, ob er den lasterhaften Tanz ansehen solle oder nicht.
Der Augenblick war gekommen.
Anders als früher, als süße Töne den Anfang machten, begann Salomes Tanz mit dem wilden Klopfen der Tamburine, begleitet von den schwingenden Saiten der lyra , eine ausgelassene Melodie, wie ein Überfall aus dunkler Nacht. Ein greller roter Schleier wirbelte wie eine Windhose aus Feuer über den Hof, streifte die Gäste, die in vorderster Reihe standen, streifte auch Antipas. Er wollte nach dem Stoff greifen, doch Salome war zu schnell und drehte sich so rasch weg, wie sie gekommen war. Antipas gefiel
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