Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
seinem Schemel, in derselben Haltung, in der sie ihn zuletzt gesehen hatte, zusammengesackt und mit starrem Blick wie ein Bettler am Wegesrand. Herodias und das Gefolge hatten sich längst in ihre Gemächer zurückgezogen.
Die vier Soldaten saßen von ihren Pferden ab. Einer trug eine verschlossene Amphore unter dem Arm, in der Händler gemeinhin Öl, Fischbrei oder Gewürze transportierten. Er stellte sie vor dem Tetrarchen ab, öffnete sie und griff hinein.
Ein gewaltiger Schrei entlud sich aus Antipas’ Kehle. Er sprang auf, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und lief wie ein Irrer davon, kam wieder zurück und lief erneut davon, die halbe Treppe zur Mauer hinauf und wieder hinunter, bis er endlich ins Innere der Festung verschwand. Mit seinem Schreien und Wimmern hatte er den halben Hofstaat geweckt, Dutzende Köpfe reckten sich aus den Fenstern. Der Soldat zeigte ihnen, was Herodias haben wollte, als sie ihm vor dem Abritt etwas zugeflüstert hatte: In der Hand hielt er den Kopf des Täufers an den Haaren gepackt und reckte ihn einer Trophäe gleich in die Höhe.
Salome schloss die Augen.
SECHSTER TEIL
Feuer und Asche
19
Die Rückreise nach Basan glich für Salome einem Geistermarsch. Die Stimmung im Gefolge war schlecht. Niemand lachte, und es wurde wenig gesprochen. Hinter vorgehaltener Hand tuschelten sich die Höflinge Unverschämtheiten über sie zu, gaben ihr unflätige Namen und warfen ihr mal respektlose und mal kühle Blicke zu. Dass sie, eine Prinzessin, eine Herodianerin, eine Repräsentantin des Volkes, nackt vor Ungläubigen, vor Soldaten und einfachen Leuten gestanden hatte, eilte scheinbar mit der Geschwindigkeit des Windes durch das Land. Wohin man kam, wandten sich Juden ab, Fensterläden schlossen und Straßen leerten sich. In Städten, wo Pharisäer besonders stark vertreten waren, wurde es noch schlimmer. Männer aus dem Volk spuckten vor ihre Sänfte, und vereinzelt strömten junge Männer aus Nebenstraßen, warfen ihr Schimpfwörter entgegen, als seien es Steine, und zogen sich wieder zurück. Das Verhalten des Volkes trug Eigenschaften eines Aufstands in sich.
Obwohl der Zug unversehrt die Provinzen Samaria und Galiläa durchquerte, obwohl nicht ein einziger körperlicher Übergriff vorkam, wurde Salome in diesen Tagen dennoch verletzt. Die Verachtung traf sie sogar noch härter, als wenn jemand ein Attentat auf sie verübt hätte. Wenn sie sich nicht um Timons Genesung kümmerte, klagte sie sich an, lebte jede Phase jenes unseligen Abends wieder und wieder in Gedanken durch. Wie, fragte sie sich, war sie nur auf diesen absurden Gedanken gekommen, vor Antipas zu tanzen? Warum hatte sie vorher nicht Timons oder Philipps Rat gesucht? Und wieso hatte sie auch den letzten der sieben Schleier fallen lassen? Sie wusste keine Antwort auf diese Fragen. Jene Nacht in Masada war die seltsamste und schlimmste, die sie je erlebt hatte. Kaum dass sie sich der Vorgänge entsinnen konnte, geschweige denn der Motive, die sie trieben. Alles, woran sie sich deutlich erinnerte, war dieses Gemisch aus Wut und Angst, das jede Faser ihres Körpers durchdrungen hatte.
Aber auch, wenn sie bei Timon war und ihn pflegte, fand sie keine Ruhe. Selbst hier in seiner Nähe, wo sie sich am geborgensten und sichersten fühlte, holten sie ihre Fehler ein.
»Warum hast du das getan?«, fragte Timon sie nach einigen Tagen während einer Rast nahe Jericho. Die Sonne strahlte gleichmäßig warm auf die grünen Hügel herab, die nahen Balsamhaine versprühten ihren betörenden Duft, und das Plätschern der zahlreichen Quellen vermischte sich mit dem Gesang der Vögel. Es war ein nahezu perfekter Tag. Timon litt noch unter einem leichten Fieber, Folge seiner Verwundungen, doch er konnte in den Marschpausen die Sänfte verlassen und einige Schritte laufen.
Er stellte seine Frage leise, da sie beide sich aus verständlichen Gründen nicht allzu weit vom Gefolge entfernen durften, denn was Salome tat, ihre Blicke oder Gesten, alles wurde genauer denn je von Höflingen beobachtet. Ja, Timons Frage war diskret gestellt; der Vorwurf darin war für Salome dennoch deutlich herauszuhören.
»Ich weiß es selbst nicht mehr, Timon«, antwortete sie. »Vielleicht dachte ich, wenn ich Antipas den Tanz gäbe, den er sich wünscht, würde er dich und mich in Ruhe lassen. Und als ich dann tanzte, dachte ich überhaupt nicht mehr nach. Ich warf den siebten Schleier ab, ohne …«
»Das meinte ich nicht«, unterbrach er sie.
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