Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
schwimmend, nach hinten. Gelegentlich tauchte er unter und an einer ganz anderen Stelle wieder auf.
Als Timon aus dem Wasser stieg und durch den feinen warmen Sand auf sie zu stapfte, versuchte sie, ihn möglichst wenig zu beachten, was ihr allerdings nicht gelang. Er trug nur ein leinenes, eng gewickeltes Hüfttuch, das wenig verbarg und zudem vor Nässe troff. Dergleichen war sie nicht gewohnt. Um seinen Hals spannte sich eine feine, goldene Kette, an der ein winziger Lapislazuli befestigt war. Und dann war da noch diese Narbe, die sich von der rechten Brust bis zum Bauchnabel zog und einst eine schlimme Wunde gewesen sein musste.
Einige Schritte von ihr entfernt kniete er sich in den Sand und breitete seine Arme aus wie ein Vogel, der nach dem Bad sein Gefieder spreizt. Da Timon außer seiner Tunika keinen Stoff dabei hatte, blieb ihm nur diese Möglichkeit zu trocknen; es war wohl nur ein Spaß, denn er ließ seine Arme schnell wieder sinken und lächelte Salome an.
»Ist es hier nicht wunderbar?«, fragte er und schüttelte übermütig seine Haare, so dass die Tropfen bis zu ihr spritzten. Sie schrie auf und beide lachten.
»Ja«, antwortete sie knapp, denn sie fürchtete, ihre Stimme könnte zittern und damit verraten, wie erregt sie war. Wie noch nie jemand zuvor wühlte Timon die seltsamsten, aufregendsten und wunderbarsten Gefühle in ihr auf, von denen sie nie gedacht hätte, dass sie ihrer fähig wäre. Irgendwie hatte sie immer geglaubt, die Tatsache, dass sie nicht gesund und schön war, würde sie davon ausschließen, jemals mehr als Respekt oder Freundschaft für einen Mann zu empfinden, geschweige denn das zu tun, was ihre Mutter einst mit Coponius im Hain getan hatte. Doch unwiderruflich kam ihr dieses Bild in den Sinn. Sie stellte sich vor, wie Timon, so wie er war, am Boden lag.
Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie sich von einer Benommenheit befreien.
Hör auf damit, sagte sie sich.
»Alles in Ordnung?«, fragte er. »Du sahst gerade aus, als ginge es dir nicht gut.«
»Doch, doch«, erwiderte sie rasch.
Er schwieg, blickte unentschlossen in die Sonne, dann zum Meer. Sein Atem ging schwer, er sog ein paar Mal tief die Luft ein und stieß sie mit einem kurzen Seufzer wieder aus.
»Ich bin nach einer Muschel getaucht, habe aber keine gefunden«, sagte er.
»Wozu auch?«
»Um sie dir zu schenken, selbstverständlich.«
Er schien einen Moment zu überlegen, dann sprang er auf und ging zu seinem Pferd. Am Hals der Gescheckten war an einer Schnur ein Beutel befestigt, den Timon öffnete, einen Lederschlauch hervorzog und dann mit ihm zurückkam. Schwungvoll warf er sich neben Salome in den Sand. Er war ihr so nah, dass sie das Salzwasser roch, das auf seinem Körper trocknete.
»Hier habe ich etwas anderes für dich. Suche dir eins davon aus.«
»Was ist da drin?«
»Öffne, dann wirst du schon sehen.«
Sie holte eine Rolle aus dem Lederschlauch heraus, wie sie für Botschaften verwendet wurde. Zwischen zwei Holzstöcken war Pergament eingespannt und zusammengerollt worden. Zaghaft vor Respekt vor dem dünnen Papier entfaltete sie die ersten Fingerbreit und blickte auf eine Zeichnung. Ein rundes, von Säulen gesäumtes Gebäude mit spitzem Giebel erhob sich inmitten eines Gartens.
»Das stammt von dir?«, fragte sie verblüfft.
»Da war ich noch sehr jung, man sieht es an der krakeligen Strichführung. Das ist der Tempel der Venus in Rom.«
»Venus?«, fragte sie neugierig.
»Die Tochter des römischen Göttervaters Jupiter, Göttin der Liebe, der Schönheit, der Anmut. Sie wurde übrigens nicht weit von hier geboren, an der Küste Zyperns, wo sie der Sage nach dem silbernen Schaum der Wogen entstieg.«
»Klingt faszinierend. Wieso zeichnest du?«
»Einfach so. Na ja, eine Zeit lang, als ich in Jerusalem lebte, habe ich mir überlegt, Architekt zu werden.«
»Du wärst ein prächtiger Architekt«, rief Salome begeistert aus, doch als sie merkte, wie überschwänglich das geklungen hatte, fügte sie sachlich hinzu: »Ich kann mir dich sehr gut als Architekt vorstellen.«
Salome rollte das Papier weiter auf. Einem Aquädukt, wie sie es auch aus Jerusalem kannte, folgte die Zeichnung einer ländlichen Straße mit einigen kleinen Tempeln und Mausoleen auf beiden Seiten.
»Die Via Appia«, erklärte Timon. »Und das hier ist ein Leuchtturm im Hafen von Ostia. Und als Nächstes …«
»Jerusalem«, jauchzte Salome.
»Ja, der Tempel eures Gottes. Ich nehme an, du entscheidest
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