Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
dem Hof herumlungerte. Er versperrte ihr mit seinem breiten Körper den Zutritt zum Unterrichtsraum.
»Weißt du, wie du aussiehst?«, fragte er.
Sie wusste, dass er darauf keine Antwort erwartete. Er konnte sie noch nie leiden und verzieh ihr auch nicht seine Demütigung beim Disput. Sie konnte ihn nur ignorieren. Immer wieder versuchte sie wortlos, an ihm vorbeizukommen, vergeblich.
Er stieß sie zurück, so dass sie beinahe stolperte.
»Ich habe dich gefragt, ob dir klar ist, wie du aussiehst.«
Sie drehte sich um und wollte weggehen und warten, bis Zacharias kam und sie schützen konnte. Schon hatte sie fast den Hof verlassen, als etwas sie zurückhielt: Kephallion lachte. Es war nicht dieses Lachen allein, sondern mehr die Art, wie er lachte. Weder fröhlich noch bösartig, ja, nicht einmal hochmütig, sondern triumphierend.
Das tat Salome weh. Sie hatte sich das Recht erstritten, in den cheder zu gehen, und nun wich sie zurück, weil jemand ihr das Recht mit Gewalt wieder nehmen wollte. Sie sollte es niemandem so leicht machen, sie vom Feld zu jagen. Erneut dachte sie an den Satz Akmes: Nur was du dir mit eigener Mühe erarbeitet hast, gibt dir wahre Macht. Ja, Akme konnte sie fördern, Herodias konnte sie ausstaffieren, Zacharias konnte sie vor Kephallion schützen, aber all das würde ihr nicht den Respekt eines einzigen Menschen einbringen. Sie musste für das, was sie wollte, einstehen. Damals, als sie zum ersten Mal vor dem cheder gestanden hatte, wollte sie unterrichtet werden, und sie wurde seither unterrichtet. Nun wollte sie schön sein, und sie würde sich diese Schönheit nicht mehr nehmen lassen.
Kephallion, dachte sie, wenn ich eines Tages Königin bin, werde ich dafür sorgen, dass solche Menschen wie du in diesem Land nichts mehr zu sagen haben.
Sie drehte sich erneut um und ging auf Kephallion zu. »Ja, mir ist klar, wie ich aussehe. Ich sehe wie eine Prinzessin aus, damit du’s weißt. Wie eine Prinzessin von Judäa.«
Er presste die Lippen zusammen. »Wie eine der Sünderinnen Sodoms siehst du aus.«
»Na und? Die haben es wenigstens geschafft, in den heiligen Schriften erwähnt zu werden. Du schaffst das nie, denn du bist dumm und eifersüchtig.«
Kephallion schlug ihr die thora aus der Hand. »Fass dieses heilige Buch nicht an, du lästerliches Weib. Ich werde in die Geschichte meines Volkes eingehen, und du wirst einmal einem Mann dienen, der mir dient.«
Langsam, jedes Wort betonend, zischte sie leise: »Du, Kephallion, wirst in jeder Hinsicht bedeutungslos bleiben, denn du bist das, was sogar dein eigener Vater dir immer wieder sagt: ein chamor , ein Esel.«
Er fletschte seine Zähne wie ein Tier, packte Salome an beiden Schultern und schrie: »Weg mit deinem Schmuck. Leg ihn ab.«
Ihre Hand schlug mit einer Wucht auf seine Wange, dass es im Hof widerhallte.
Im ersten Moment begriff Kephallion nicht, was soeben geschehen war. Schon lange hatte sich keiner der anderen Jungen mehr ernsthaft seinen Angriffen widersetzt. Die meisten schlossen sich lieber seiner Meinung an, einige gingen ihm aus dem Weg, denn Widerstand reizte Kephallion aufs Äußerste, und seiner bulligen Kraft konnte niemand ernsthaft etwas entgegensetzen. Jedoch von einem Mädchen geschlagen zu werden, das war für ihn wie eine Kriegserklärung.
Er packte ihr Handgelenk mit aller Kraft. Der Schmerz zwang sie in die Knie.
»Weg mit diesem Schmuck«, wiederholte er. Er riss ihr den Reif vom Handgelenk und schleuderte ihn gegen ihren Kopf. Sie schrie auf, fasste sich an die Haare und spürte das Blut zwischen ihren Fingern.
Die beiden anderen Jungen kamen, um Kephallion zu beschwichtigen, aber er beachtete sie nicht. Er riss Salome am Handgelenk hoch, griff in ihre Haare und zerrte an der Kette. Zu Dutzenden sprangen die kleinen, weißen Perlen über den Boden und verteilten sich im ganzen Hof.
»Ich bin noch nicht fertig«, grölte er. Seine kräftige Hand rieb über ihre Lippen, und die Farbe, die er danach an seinen Händen hatte, schmierte er quer über ihre Tunika.
Jetzt erst hielt er inne, um sein Werk zu betrachten. Salome stand schmutzig und zerzaust vor ihm, eine Besiegte. In ihrem Kopf hämmerte der Schmerz, ihre Handgelenke brannten wie Feuer, sie zitterte, und ihr Blick zuckte über den Boden zu den Perlen.
Kephallion grinste, doch die Blicke der beiden anderen Jungen verletzten Salome weit mehr, denn sie waren voller Mitleid. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Alle Kraft und aller Stolz
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