Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
es gibt einen Grund. Antipas weiht in einigen Wochen seine neue Hauptstadt ein. Er nennt sie nach dem römischen Kaiser, Tiberias. Sein Palast liegt am See Genezareth, dort soll es wunderschön sein, riesige Gärten, duftende Wälder... Das magst du doch – wenngleich ich mich frage, was an einer Pinie schöner als am Gold eines Palastes sein soll.«
»Ich bin hier unabkömmlich«, beharrte sie. »Die Leute brauchen mich.«
Herodias legte den Kopf in den Nacken und stieß einen geräuschvollen Fluch aus, wie immer, wenn sie ihren Willen nicht bekam. »Warum muss man dieses Kind eigentlich immer zu seinem Glück zwingen?«, fragte sie zur Decke hin und blickte dann Salome auffordernd an. »Bei Antipas gehen reiche Männer ein und aus, armenische Prinzen, syrische Magnaten, sogar römische Patrizier. In Kürze besucht ihn der künftige römische Prokurator für Judäa, Pontius … Pontius irgendwas. Dass diese Römer immer mehrere Namen haben müssen, schrecklich. Als hätte man nicht genug damit zu tun, sich einen Namen zu merken. Jedenfalls ist dieser Pilatus Witwer. Muss ich noch mehr sagen?«
Salome täuschte sich nicht über die wahren Motive ihrer Mutter, sie unbedingt mit nach Tiberias nehmen zu wollen. Herodias wollte nur, dass sie in ihrer Abwesenheit nicht zu viel Eigenständigkeiten entwickelte – Dummheiten nannte Herodias das – und sich nicht langsam ihrer mütterlichen Führung entzog. Sie konnte ihr das nicht übel nehmen. Vermutlich widerstrebte es jeder Mutter, wenn ihr Kind erwachsen und damit eigenwillig wurde.
Sie wollte eine endgültige Absage formulieren, als ein Diener eintrat und Coponius meldete.
»Er soll hereinkommen«, rief Herodias, bevor sie es selbst tun konnte. »Sein Abschiedsbesuch«, erklärte Herodias ihr. »Er ist in den Rang eines Senators aufgestiegen und wird von diesem Pontius Dingsda abgelöst.«
Salome staunte. »Er wird römischer Senator? Dafür muss man ein Vermögen von einer Million sesterti nachweisen. Das sind über fünfzehntausend silberne denari . Wie kommt er zu einem solchen Reichtum?«
»Liebes, woher soll ich das denn … Scht, da kommt er.«
Coponius’ Brustpanzer und das Kurzschwert klapperten wie eh und je. Er hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert, fand Salome, und sie konnte sich nur schwer vorstellen, wie sein kämpferisches, vollbärtiges Gesicht aus der edlen, purpurverbrämten Toga eines Senators herausragte. Wie konnte ein Mann, der noch vor fünf Jahren ein einfacher Offizier gewesen war, plötzlich so reich sein, dass er es bis in den römischen Senat schaffte? Sie hatte Coponius nie gemocht – was nichts mit der Episode im Hain zu tun hatte. Sie meinte, stets eine gewisse Falschheit an ihm zu bemerken, die im krassen Gegensatz zu seinem aufrechten und bisweilen aufgeplusterten römischen Auftreten stand. Das war allerdings nur ein diffuses Gefühl, das sie durch keine Tatsachen untermauern konnte, und manchmal rügte sie sich selbst für ihre Unterstellungen. Denn Coponius hatte die Großzügigkeit gehabt, Timon freizulassen. Mehr noch, als Timon verschwunden war, kam er ihrer Bitte nach, nutzte seine Stellung als Prokurator und seine Kontakte in benachbarte Provinzen, um nach Timon suchen zu lassen. Sie hatte wirklich allen Grund, ihm dankbar zu sein.
Aus Höflichkeit stand sie auf, obwohl ihr Rang so etwas nicht nötig machte, auch nicht vor dem Prokurator. »Nun, edler Coponius. Ich höre, du verlässt unser schönes Land.«
Er war mit der Beschreibung Judäas offensichtlich nicht einverstanden, denn er antwortete: »Ja, ich verlasse diesen abgelegenen Flecken Erde und begebe mich in das Zentrum der Welt. Zuvor wollte ich mich allerdings unbedingt verabschieden.«
Wohl weniger von ihr als von ihrer Mutter, dachte sie, schluckte diese bissige Bemerkung allerdings hinunter. »Wie nett«, kommentierte sie stattdessen.
»Bevor ich gehe, muss ich jedoch noch einmal auf die Besorgnisse der hiesigen Sklavenhändler verweisen, die zum Teil Römer sind und deren Interessen ich zu schützen verpflichtet bin. Du hast zu viele Sklaven aus deinen Beständen freigelassen, Fürstin.«
Salome setzte sich wieder auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch und sah Coponius unerschrocken an. »Ja, fast alle«, sagte sie und fügte mit einem Seitenblick auf ihre Mutter hinzu: »Außer die, die im Hain arbeiten. Dagegen haben meine Eltern als Regenten Einspruch erhoben, da sie um die Wirtschaftlichkeit fürchten. Ich hingegen bin nicht der
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