Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Überzeugung, dass Menschen besser arbeiten, wenn sie rechtlos und unbezahlt sind. Seit ich die Arbeitsbedingungen in den Hainen verbessert habe, ist auch die Arbeit effizienter geworden. Und die Bediensteten des Palastes können mit dem kleinen Salär, das sie als freie Menschen erhalten …«
»Doch die Sklavenhändler haben das Nachsehen«, unterbrach Coponius. »Sie leiden unter den Zöllen. Außerdem bieten einige der Freigelassenen ihre Dienste jetzt für geringes Geld an, so dass die Nachfrage nach Sklaven sinkt.«
»Mein Mitleid mit den Sklavenhändlern ist begrenzt«, erklärte sie.
»Und was«, schnauzte er, »hast du mit den vielen Bediensteten vor, die du zusätzlich angestellt hast? Mir ist nicht entgangen, dass du deinen Bürgern mehr als einhundert Sklaven abgekauft und anschließend freigelassen hast und sie nun auch noch verpflegst, obwohl sie nichts tun. Stellst du etwa ein Heer auf?«
Salome schmunzelte. »Ich kann dir nicht verdenken, dass du einen solch abstrusen Verdacht hegst. Ein Heer von hundert Soldaten! Wem soll ich denn damit Angst machen? Ich vermute, wenn man derart lange beim Militär ist wie du, edler Coponius, sieht man in allem, was geschieht, stets nur militärische Hintergründe. Nein, die Männer sind für den Bau einer Küstenstraße gedacht, die im nächsten Frühling …«
»Die Küstenstraße durch Ashdod«, donnerte er, »soll Teil einer römischen Appia zwischen Syrien und Ägypten werden, entworfen von römischen Architekten, gebaut von Sklaven, die Rom gehören. Du hast nichts damit zu tun.«
Für Salomes Geschmack hatten die Juden seit der Besetzung durch römische Legionen viel zu wenig in und mit ihrem eigenen Land zu tun. Sie ignorierte nicht die Vorteile, die Roms Oberherrschaft mit sich brachte: Es ging wesentlich geordneter und unblutiger zu als unter der Peitsche des Herodes oder während der Herrschaft des Trunkenboldes Archelaos. Die Römer mischten sich nicht in die jüdische Rechtsprechung ein, gewährten dauernde Befreiung von der Pflicht, wenigstens einmal jährlich dem römischen Göttervater Jupiter zum Wohl des Staates zu opfern, und zogen jüdische Männer nicht zum Kriegsdienst ein wie die jungen Burschen anderer Provinzen. Sie verhielten sich für ihre Verhältnisse außergewöhnlich geschickt. Alles in allem konnte man sich also in Judäa über die Fremdherrschaft nicht beklagen, und tatsächlich gab es nur wenige, die sich offen gegen sie aussprachen. Dennoch spürte Salome, was in den Herzen ihrer jüdischen Brüder und Schwestern vorging. Das Land, seit vielen Jahrhunderten Eigentum des Volkes, seit unzähligen Generationen bebaut, immer wieder mit hohem Blutzoll verteidigt, Ort heiliger Geschehnisse, Wirkstätte der Propheten – dieses Land gehörte ihnen nicht mehr. Dort, wo David einst gegen die Philister geritten war, marschierten heute römische Hilfstruppen, wo Moses seinen Bund mit den Israeliten geschlossen hatte, stand heute eine Karawanenstation mit blökenden Kamelen und Mauleseln, und nur einen Steinwurf vom Allerheiligsten entfernt, von der Bundeslade im Tempel von Jerusalem, warfen Legionsstandarten ihre Schatten über die Mauern der Burg Antonia. Das Gefühl, ohnmächtig zu sein, bohrte sich wie ein leiser Schmerz durch die jüdischen Herzen, und Salome wollte das ihre tun, um diesen Schmerz ein wenig zu lindern.
Salome beugte sich vor und faltete gelassen die Hände auf dem Schreibtisch. »Natürlich wird es eine im wesentlichen römische Straße sein. Für das Selbstgefühl der jüdischen wie griechischen Einwohner von Ashdod ist es jedoch wichtig, dass wir nicht bloße Empfänger römischer Gunst sind. Wir sind durchaus in der Lage, selbst einen Beitrag …«
»Rom bestimmt, wozu ihr in der Lage sein dürft und wozu nicht«, fuhr Coponius dazwischen.
Salome atmete tief durch. »Ich handele nur im römischen Interesse, Coponius. Die Stimmung unter den Juden ist noch friedlich. Sie trauern vergangenen Zeiten nach, gewiss, sie grollen jedoch den Römern nicht. Je aufdringlicher dagegen der römische Machtanspruch wird, umso zorniger werden …«
»Soll das etwa eine Drohung sein?«
Salome erhob sich ruckartig und rief: »Wir sind hier nicht auf einem Kasernenhof, Coponius. Es steht dir nicht frei, eine Fürstin andauernd zu unterbrechen. Das ist nicht nur schlechter Stil, sondern auch außerordentlich undiplomatisch und töricht. Ich könnte mich bei Kaiser Tiberius über dich beschweren.«
Coponius sah sie sichtlich
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