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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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mich noch in den Wahnsinn. Wir sollten es nächstes Jahr verbieten.«
    »Das shofar ist den Leuten heilig«, antwortete Salome und schrieb nebenbei Notizen über De Republica auf ein Pergament. »Ein Verbot wäre unklug.«
    »Und ich dachte, wir haben die gleiche Meinung über veraltete Bräuche.«
    Salome konnte nicht verleugnen, dass Herodias ihren Anteil an Salomes weltlicher Einstellung hatte. Sie hatte erlebt, wie ihre Mutter die Gebote ignoriert und mit einem fast fremden Mann geschlafen hatte. Akme wiederum hatte mit ihrer weiblichen Selbstbestimmtheit und der Art, die Religion als weiteres Mittel der Politik anzusehen, großen Eindruck auf sie gemacht. Theudion, Zacharias und Kephallion hatten ein Übriges getan und sie mit ihren rigiden Unterdrückungsmechanismen geradezu aus dem Glauben vertrieben. Trotzdem achtete sie die meisten Bräuche und Traditionen des Volkes, viele mochte sie sogar, so zum Beispiel rosh ha-shana und das shofar . Sie gaben ihr das Gefühl – trotz aller Kritik, die sie am Glauben und dem, was die Menschen daraus machten, hatte -, noch immer eine Verbindung zu ihrem Volk zu haben. Ihr ging es nicht darum, irgendetwas zu verbieten; sie wollte und konnte die Überzeugungen nicht abschaffen, wohl aber in einigen Fragen langsam verändern. Sie war jung und hatte noch viel Zeit – und den festen Willen.
    »Wenn dir Ashdod nächstes Jahr zu laut wird, kannst du ja für einige Wochen verreisen, irgendwohin, wo fast nur Griechen leben.«
    »Da du vom Reisen sprichst«, fiel Herodias ein. »Ich möchte dich bitten, mich nächste Woche zu begleiten.«
    Salome schrieb weiter. »Wohin?«
    »Wohin wohl! Der Winter naht. Ich vertrage die Seeluft im Winter nicht.«
    Salome las einen Absatz aus De Republica und sagte nebenher: »Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der die milde Seeluft nicht verträgt.«
    »Im Winter, sagte ich. Sie ist zu frisch, zu kalt. Ich hasse Wind.«
    »Ich liebe Wind.«
    »Außerdem möchte ich die Familie wiedersehen.«
    Salome ließ die Feder sinken und atmete tief durch. Der Großteil der Familie lebte in Galiläa, am Hof von Antipas. Keiner der Verwandten hatte damals, nach Akmes Tod, hier in Ashdod bleiben wollen. Die Aussicht, Herodias, über die sie stets abfällig getuschelt hatten, als Regentin huldigen zu müssen, hatte sie fortgetrieben. Salome machte sich allerdings nichts vor: Auch sie selbst war bei der Familie alles andere als beliebt. Die einen sahen in ihr das Abbild der koketten, leichtlebigen Mutter, die anderen des trotzigen Vaters. Vor allem Zacharias machte damals Stimmung gegen sie, beschimpfte sie als verstocktes, liederliches Weib, und Kephallion tat überall genussvoll kund, dass er es ja immer schon gesagt habe und ohnehin der Einzige gewesen sei, der frühzeitig etwas gegen ihre Sünden unternommen habe. Seinen Disput gegen sie im cheder stilisierte er zu einer leidenschaftlichen Verteidigung der Lehren der Propheten hoch und seine brutale Attacke auf dem Hof verkaufte er sogar als einsame Heldentat, die nur durch die Feigheit anderer wirkungslos blieb. Ganz offen zweifelten die beiden die Rechtmäßigkeit des Erbes an, gegen das beeidete Protokoll und Coponius’ Vollstreckung kamen sie jedoch nicht an. Und eine solche Familie wollte ihre Mutter wiedersehen?
    »Denkst du da an ein bestimmtes Familienmitglied?«, fragte Salome. »An Onkel Antipas vielleicht?«
    Herodias schnappte nach Luft. »Wie kommst du denn darauf?«
    »Oh bitte, Mutter. Denkst du denn, ich weiß nicht, was ihr beiden miteinander treibt? Mir ist das schon seit zehn Jahren klar, seit dem Tag des Leichenschmauses für Herodes. Vielleicht erinnerst du dich. Ich suchte dich damals im ganzen Palast und fand dich, wie du aus den Räumen von Onkel Antipas kamst. Und in den letzten drei Jahren hast du jeden Winter an seinem Hof in Sepphoris verbracht, obwohl der Wind in den dortigen Tälern, Berghängen und Hochebenen nicht weniger kräftig weht als bei uns in Ashdod.«
    Herodias straffte den Rücken. »Woher willst du das wissen? Du warst nie dort.«
    »Ich erhalte Briefe von Berenike, in denen sie sich beklagt, dass der ständige Wind ihre hübschen Locken durcheinander bringt. Du musst mir nichts vormachen, Mutter. Du reist nur wegen Antipas nach Galiläa. Lass dich bloß nicht erwischen, und vor allem ziehe mich da nicht hinein. Ich sehe keinen Grund, nach Galiläa zu reisen.«
    Herodias leugnete ihre wahren Beweggründe nicht länger, lenkte jedoch von ihnen ab. »Doch,

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