Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
gegen die Sklaverei.
»Wir können die Haltung von Sklaven nicht verbieten«, hatte Theudion eingewendet. »Die thora erlaubt es ausdrücklich, solange es sich bei den Sklaven um Angehörige nichtjüdischer Völker handelt. Und die thora ist bei uns Gesetz – falls du das vergessen hast«, fügte er missbilligend hinzu.
Salome betrachtete die thora nicht länger als das Buch Gottes, sondern als ein von Menschen geschaffenes Regelwerk, eingekleidet in spannende Sagen und Mythologien, Wahrheiten und Halbwahrheiten, ähnlich denen jeder anderen Religion. Vielleicht hatten die Verfasser ursprünglich wirklich geglaubt, im Namen des Herrn zu schreiben, und vielleicht hatten sie sogar die besten Absichten damit verfolgt. Tatsache blieb, dass neben viel Sinnvollem, welches das Leben zwischen Menschen mit all ihren Begierden ordnete, auch so manch Befremdliches geschrieben stand, das die Juden den anderen Völkern überordnete, die Männer den Frauen, die Kämpferischen den Milden und so weiter. Die Ungereimtheiten waren so auffällig, dass man nur darüber hinwegsehen konnte, wenn man jedes einzelne Wort zum unanzweifelbaren Heiligtum erhob. Nüchtern betrachtet jedoch steckte die thora voller Widersprüche. Oder wie sollte man es sonst nennen, dass die Sklaverei dem Herrn zwar als verwerflich galt, solange die Juden die Sklaven waren – wie damals in Ägypten -, hingegen erlaubt wurde, wenn die Juden selbst die Sklavenhalter waren?
Doch mit solchen Argumenten brauchte sie ihrem Vater nicht zu kommen. Daher schlug sie einen anderen Weg ein, um ihr Ziel zu erreichen.
»Ich dachte auch nicht an ein Verbot von Sklavenhaltung, Vater. Wir sollten jedoch die Einfuhr von Sklaven verteuern. Die meisten Sklavenhändler sind Römer und Griechen, die nicht in Ashdod wohnen und somit keine Steuern zahlen. Wenn wir die Zölle erhöhen, so kommt das allen Einwohnern Ashdods zugute.«
Ihr Vater hatte noch einen Tag lang über ihren Vorschlag gegrübelt; da in der thora nichts über die Höhe von Zöllen stand und er die Geschäftemacherei der Griechen und Römer verachtete, stimmte er schließlich zu. Und Herodias war ohnehin für alles zu haben, das noch mehr Geld einbrachte. Seither ging die Anzahl von Unfreien in Ashdod stetig zurück, denn ihr Kauf wurde zunehmend unrentabel.
Salomes nächstes Ziel war die Freilassung der Sklaven im Hain, doch dafür würde sie noch weit mehr Geschick – und Geduld – brauchen.
Salome ging langsam zum Fenster. Früher hatte ihre Großtante immer hier gestanden. Es war Akmes Blick auf Ashdod gewesen, ihr Schreibtisch, ihr gyneikon , ihr Palast. Und hier hatte die alte Frau vom Königsreif geträumt. Für die Erfüllung dieses Wunsches war Akme über Leichen gestiegen und am Ende doch gescheitert, zugrunde gegangen an dem Verrat einer Frau, die noch tückischer und rücksichtsloser als sie gewesen war. Bereits hinter den Hügeln, kaum eine Viertelstunde zu Pferd, begann das Territorium Livias, der bona mater roma, der guten römischen Mutter, wie sie genannt wurde. Wie sehr man sich doch in Vorbildern vertun konnte! Salome wusste das aus eigener schmerzhafter Erfahrung.
Allerdings nicht alles, was Akme und Livia ausmachte, war schlecht. Beide Frauen hatten es geschafft, in ihrem jeweiligen Umfeld eine einzigartige Machtposition einzunehmen, und waren weit über die Möglichkeiten ihres Geschlechts hinausgewachsen. Sie hatten sich erfolgreich gegen die Dominanz der Männer gestemmt, indem sie schlauer, einfallsreicher und auf eine ungewöhnliche Weise sogar einfühlsamer als sie gewesen waren, denn sie erkannten deren Gefühle, Hoffnungen und Ängste und nutzten diese gnadenlos aus. So weit bewunderte Salome die beiden Frauen, denn auch sie glaubte fest daran, dass es legitim sei, sich aus einer Rolle zu befreien, die man wie ein Sklave aufgezwungen bekam. Das Üble an Akme war nicht ihr Verlangen nach Macht gewesen, sondern dass sie mit dieser Macht nichts gestalten wollte. Sie hätte sie nur zur Unterdrückung und zum Strafen genutzt, zur Erhöhung ihrer eigenen Stellung. Keine Sekunde hätte sie an andere gedacht, und wäre sie Königin geworden, hätte sie nur einen zweiten Herodes abgegeben.
Wer weiß, was geschehen wäre, dachte Salome, wenn Timon ihr nicht die Augen darüber geöffnet hätte.
Wieder versetzte ihr der Gedanke an Timon einen Stich. Es verging kein Tag, an dem sie nicht an ihn dachte, doch ihre Gefühle in diesen Augenblicken waren sehr unterschiedlich. Meistens
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