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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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wünschte Herrn Kimmling unbekannterweise gute Besserung für seine lädierte Blase.
    »Ist Ihre Elke etwa auch arbeitslos?«
    »Schon wieder: auch! Sie haben auf einen vorhergehenden Fall angespielt.«
    »Natürlich. Auf den Mann von der Frau Seesterhenn. Der hat’s doch mit der Blase, und jetzt ist er auch noch arbeitslos. Als ob ihm seine Blase nicht genug Ärger machen würde …«
    »Moment, Moment! Das mit der Blase, das war doch der Mann von der Frau Kimmling eben, nicht der Herr Seesterhenn«, insistierte Schmalenbach nervös.
    »So eine Totaloperation ist besonders tragisch, wenn keine Kinder da sind. Sie und Ihre Elke haben doch keine Kinder, oder?«
    Schmalenbach verlor die Geduld. Er brüllte: »Nein, wir haben keine Kinder. Und ich bin auch nicht arbeitslos wie Herr Seesterhenn. Und meine Blase funktioniert einwandfrei.«
    »Morgen früh haben wir wieder Kaiserbrötchen. Soll ich Ihnen welche zurücklegen?«
    Kurz nach acht – und Schmalenbach war mit seiner Kraft schon am Ende. Wie sollte er diesen Tag bewältigen?
    »Legen Sie mir vier Stück zurück«, antwortete er leise.
    »Wir backen sie jetzt mit Sonnenblumenkernen. Sie kosten das Gleiche wie die ohne Sonnenblumenkerne.«
    »Schön, dann nehme ich zwei mit und zwei ohne Sonnenblumenkerne.«
    »Wollen Sie nicht lieber alle vier mit Sonnenblumenkernen? Sonnenblumenkerne sind gut für die Blasenfunktion. Hat mir die Frau Seesterhenn erzählt. Als die nämlich die Totaloperation hat machen lassen, lag eine Apothekerin aus Bad Vilbel bei ihr auf dem Zimmer, deren Mann war auch arbeitslos, und die hat zu der Charlotte Seesterhenn gesagt …«
    Schmalenbach floh. Er musste noch den Wagen in die Werkstatt bringen.
    Der Meister begrüßte ihn schon von weitem. »Auch mal wieder im Land?«
    Schmalenbach überhörte die irritierende Einleitung.
    »Ich glaube, die Bremsen sind hin.«
    Der Meister machte ein besorgtes Gesicht. »Und wie geht’s Ihnen?«
    »Meine Blase macht mir nur Freude, falls Sie darauf anspielen.«
    »Und die Gattin, alles in Butter?«
    »Sie ist, soweit ich weiß, noch ganz normal empfänglich und nicht arbeitslos.«
    »Und Sie gönnen sich wieder mal eine Woche Urlaub bei uns im schönen Frankfurt?«
    Schmalenbachs Hände zitterten. »Nein. Ich wohne hier.«
    »Jeder hat mal einen Urlaub verdient. Wir sind doch alle nur Menschen, oder?«
    »Was ich noch sagen wollte, die Bremsen hinten …«
    »Meine Frau und ich, wir fahren in den Harz. Wie vor dreißig Jahren. Nach all den weltpolitischen Ereignissen sind wir in Bad Harzburg am besten aufgehoben. Wir wohnen in der gleichen Pension und essen jeden Morgen die guten Kaiserbrötchen …«
    An dieser Stelle des Gespräches verspürte Schmalenbach den starken Drang dazuzugehören, nicht abseits zu stehen, am universellen Dialog teilzuhaben, der von seiner Bäckerei über Bad Vilbel und die Autowerkstatt bis nach Offenbach und Bad Harzburg reichte. Schmalenbach wollte sich umarmen lassen vom kollektiven Bewusstsein, von Herrn und Frau Seesterhenn, dem Meister und der Bäckerin. Schmalenbach hatte das trostlose Dasein eines Exilanten in einer ihm fremden Welt der Blasenentzündungen, Steuerreformen, Totaloperationen und Kaiserbrötchen satt. Deshalb nahm er all seinen Mut zusammen und sagte: »Nichts ist besser gegen Arbeitslosigkeit, Blasenentzündungen und Eileiterinsuffizienzen als Sonnenblumenkerne.« Danach fühlte er sich besser.
    Der Meister zückte sein Handy und fragte in der Werkstatt nach, ob noch ein Termin frei wäre für die Bremsen. Ohne die Antwort abzuwarten, klappte er sein Handy zu und sagte: »Nächstes Jahr im März. Wenn das Wetter hält …«
    Schmalenbach fühlte, wie der Boden unter ihm wegbrach. Er war ausgespuckt worden, die Welt wollte mit ihm nichts zu tun haben. Er griff nach dem letzten Strohhalm. »Und Ihre Frau, hat sie noch Arbeit?«
    »Besser, Sie kommen erst im November wieder.«
    »… ich habe von meiner Bäckerin gehört, dass sie seit der Steuerreform viele gute Erfahrungen mit Totaloperationen machen. Ein Chirurg in Offenbach soll da Großartiges leisten.«
    Der Meister ging zu Schmalenbachs Wagen, drückte den Kotflügel nieder und sagte: »Ich fürchte, da ist nichts mehr zu machen. Ich kenne einen Autofriedhof …«
    »Elke und ich fahren wahrscheinlich im Frühjahr auch nach Bad Harzburg. Ich hoffe, dadurch einer Totaloperation der Blase zu entgehen …«
    »… in Offenbach. Hier nimmt Ihnen die Schrottkiste keiner mehr ab.«
    Im Büro schloss

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