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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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um diese Gefahr. Deshalb gestaltet er die schwierigen Sonntage des Übergangs mit Bedacht. Vor kurzem wurde er allerdings trotz dieser Prävention Opfer eines Herbstsonntags.
    Dabei ließ sich alles so gut an. Sie hatten am Vormittag den auslaufenden Spiegel quergelesen, Bach gehört, an der Steuererklärung gewerkelt, Dias vom vorletzten Urlaub eingeordnet, über Pfeifenberger gestritten, sich zwei Mal angeschrien, sich einmal versöhnt, halbherzig mit Sex begonnen, waren durch Pfeifenbergers Anruf dabei gestört worden und hatten sich schließlich umgezogen, um sich auf den Weg in eine Ausstellung zu machen.
    Da plötzlich – schon im Mantel – wurde Schmalenbach übermannt. Es war, als hätte ihn ein Giftpfeil getroffen. In der Magengegend. Er krümmte sich und ächzte laut.
    »Was hast du denn?«, fragte Elke, die vor dem Garderobenspiegel ihre Lippen nachzog. »Ist es etwa das Herz? Als ob das nicht noch Zeit hätte! Wahrscheinlich der viele Alkohol. Oder eine Kolik? Erst letztens habe ich von einer Freundin Oleanderextrakt bekommen. Sie hat damit ihre Zellulitis geheilt. Behauptet sie. Auch Naturheilmittel haben ihre Grenzen. Aber gegen deine Kolik hilft die Tinktur bestimmt …«
    »Ich glaube …« Er machte eine nachdenkliche Pause.
    »Ich glaube, ich habe Hunger.«
    »Hunger?«
    »Ja, einfach Hunger. Hundsgemeinen Hunger. Ist das ein Verbrechen?«
    Elke lachte. »Aber nein. Das ist doch ganz normal. Du hast zum Frühstück zwar drei Brötchen gegessen und zwei Croissants. Aber wenn du Hunger hast, mein Liebster, dann geh zum Kühlschrank und schmier dir ein Leberwurstbrot. Nur beeil dich ein bisschen, denn die Ausstellung schließt um 18 Uhr!«
    Schmalenbach ging in die Küche. Er musste sich setzen. Elke blieb in der Tür stehen.
    Schmalenbach spürte wieder diesen gemeinen Stich im Magen. »Ich brauche was Warmes.«
    »Was Warmes? Heute Abend gibt’s Tagliatelle mit Gorgonzolasoße.«
    »Nein, das ist es nicht. Ich brauche … mein Körper braucht ein … Mittagessen.«
    »Ein was?«
    »Ein richtiges Mittagessen. Mit allem Drum und Dran. Ja, das ist es. Ein Mittagessen.«
    »Kriegst du doch. Sobald wir von der Ausstellung zurück sind.«
    Schmalenbach sprang auf. »Du verstehst das nicht.
    Mein Organismus steht kurz vor einem Zusammenbruch. Er verlangt ein Mittagessen. Mittags – nicht abends.«
    Elke prustete vor Empörung. »Du glaubst doch nicht, dass ich mich im Mantel und in Pumps an den Herd stelle und dir Tagliatelle mit Gorgonzolasoße zubereite? Jetzt, um halb eins?«
    Er lief wie ein angeschossenes Raubtier durch die Küche. »Ich will keine Tagliatelle mit Gorgonzolasoße. Ich will ein richtiges Mittagessen. Es geht um Leben und Tod.«
    Elke zündete sich eine Zigarette an und inhalierte bedächtig. »Das ist … sagen wir es vorsichtig … etwas spießig.«
    »Mir egal!«, brüllte Schmalenbach. »Ich will jetzt einen Schweinebraten mit Soße und Kartoffeln und Gemüse. Jetzt und nicht heute nacht um drei. Ist das zu viel verlangt?«
    Elke blieb ruhig. »Das verstößt gegen unsere Kultur, ja, gegen unseren Biorhythmus.«
    »Dann hat sich mein Biorhythmus eben verändert. Wäre ja auch kein Wunder. Die Umwelteinflüsse, die unsichere politische Weltlage, mein rapide fortschreitendes Alter. Wenn mein Magen mir sagt, ich brauche um halb eins was Anständiges zu essen und nicht abends, dann höre ich als kluger Mann genau hin. Schließlich geht es um meine Gesundheit.«
    »Hör mal!«, sagte Elke. »Wir haben uns vor Jahren für den mediterranen Stil entschieden. Sonntags ausgiebig zu frühstücken, uns zu entspannen, Kulturelles und die Natur zu genießen und zum Ausklang des Tages in Ruhe zu tafeln. Zum mediterranen Stil gehören solche Köstlichkeiten wie raffinierte Nudelgerichte, Oliven, Meeresfrüchte, exotische Salate, Balsamico, Antipasti, Kräuter der Provençe und Grappa.«
    »Ich will nicht jeden Abend Nudeln essen. Sie verkleben mir den Darm, und vom vielen Balsamico bekomme ich Sodbrennen. Ich will abends etwas Leichtes zu mir nehmen. Ein Leberwurstbrot. Oder einfach eine Tüte Salzstangen. Dafür soll mein Körper mittags alles bekommen, was er braucht: dicke Soßen mit Kartoffelknödel, nahrhafte Bratwürste, lebensnotwendige Schmorbraten und Kohlvariationen. Dann hat er den ganzen Nachmittag Zeit, die überzähligen Kalorien zu verbrennen. Das ist zwar nicht besonders mediterran, aber du siehst ja, was die mediterranen Länder mit ihrem Lebensstil erreicht haben: ein niedriges

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