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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Bruttosozialprodukt, politisch unsichere Verhältnisse und …«
    »Weißt du, was du aufgibst?«, flehte Elke. »Du tauschst laue Sommernächte am Meer gegen Blähungen und Völlegefühl. Die Leichtigkeit des Seins gegen Schwermut und Melancholie.«
    Schmalenbach breitete die Arme aus. »Das ist die Metamorphose des Alters. Ich kann dir nur raten: Haltung bewahren und das Unabänderliche akzeptieren. Man kann sich nicht gegen Naturgesetze stemmen. Und jetzt möchte ich meinen Schweinebraten, sonst zerreißt es mich!«
    Also gingen sie in ein Restaurant. Elke aß einen kleinen Salat, Schmalenbach erst die Tagessuppe, dann einen Braten mit Soße und allem, was dazugehörte, zum Schluss Pudding.
    »Und, wie fühlst du dich?«, fragte Elke, als alles vorbei war.
    »Es ist so fremd für mich. Ich glaube, ich nehme noch ein Bier und einen Klaren.« Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Das kontinentale Lebensgefühl hat auch seine geistige Dimension, Elke. Man ist nicht mehr so naiv und kommunikativ wie in der mediterranen Phase. Dafür eröffnen sich neue Perspektiven. Ich spüre jetzt zum Beispiel deutlich den Segen der Langsamkeit und des Innehaltens. Warum sollte man nach einem guten Mittagessen nicht mal eine Stunde sitzen bleiben und über den Tod nachdenken? In Südeuropa muss es dann gleich Musik und Geschmuse geben. Es geht auch anders. Tiefsinniger, reifer …«
    Elke schaute auf die Uhr. »Und was ist mit der Ausstellung?«
    »Ich komme nach. Oder wir treffen uns zu Hause.«
    Schmalenbach trank noch ein Bier, sah einem Offenbacher beim Einparken zu und verlangte dann die Rechnung. »Schon 18 Uhr«, sagte er zum Wirt. »Wie schnell die Zeit vergeht, wenn man sie sinnvoll nutzt.«
    Der Wirt half ihm in den Mantel und wies schon mal auf die Speisekarte des nächsten Sonntags hin. »Wir öffnen um elf. In protestantischen Gegenden wird um zwölf zu Mittag gegessen. In katholischen aber schon um halb zwölf.«
    Schmalenbach beschloss, zu Fuß zu gehen. Bewegung nach dem Essen war wichtig.
    Waren früher die Abende bestimmt vorn endlosen Tafeln, würden sie jetzt Zeit füreinander haben. Sie konnten Puzzles legen, alte Zeitungen lesen, über Pfeifenberger streiten, mit Pfeifenberger telefonieren, Sex … Nein, das war auch eine angenehme Nebenerscheinung des kontinentalen Lebensstils: Vieles, was nicht wirklich wichtig war, trat ganz unspektakulär in den Hintergrund. Dafür gab es dann Musik: Wagner – oder Volksmusik.
    Das Gehen machte ihm Schwierigkeiten. Er fühlte sich unförmig und kurzbeinig. Nach einer Pause auf der Parkbank ging es besser. Aber auf der Treppe begann er wieder zu schnaufen.
    Die Ausstellung hatte Elke sehr inspiriert. Sie zeigte Schmalenbach den Katalog. Dann fragte sie: »Und wie war dein Sonntagnachmittag?«
    »Ich habe in einem kulturhistorischen Buch gelesen, dass in katholischen Gegenden schon um halb zwölf Mittag gegessen wird.«
    »Interessant. Sonst war nichts?«
    »Ich glaube, wir sollten uns nach einer neuen Wohnung umsehen. Mit Fahrstuhl.«
    Elke ging in die Küche und machte sich ein Käsebrot. Dann ließ sie sich müde in einen Sessel fallen.
    Schmalenbach schaute auf die Uhr. Halb sieben. Noch eineinhalb Stunden bis zur Tagesschau. »Was hältst du eigentlich vom Tod?«, fragte er Elke.
    Sie kaute ihr Käsebrot und überlegte. »Ich finde, das hat noch Zeit.«
    Eine Fliege lief quer über die Fensterscheibe. Irgendwie war das Leben trostlos. Das wurde einem erst richtig klar, wenn man so einen massigen Sonntagabend vor sich hatte.
    »Das Dasein in unseren Breiten ist doch eine arge Zumutung«, sagte Schmalenbach. »Dieser abrupte Wechsel vom lebensfrohen Sommer in den depressiven Winter …«
    »Vor allem wenn man den Herbst verpennt.«
    Schmalenbach seufzte. »In sonnigeren Gefilden hat man ein ganz anderes Verhältnis zu den Jahreszeiten. Man läuft im T-Shirt am Strand spazieren, wenn sie hier Totensonntag und Volkstrauertag begehen. Man trifft Freunde, scherzt, trinkt ein Gläschen, redet über Politik …«
    Elke legte die Beine hoch. »Das ist auf die Dauer auch immer dasselbe.«
    »Weißt du noch, in San Gimignano, die Taverne, wo wir mit den einheimischen Gewerkschaftsleuten den Schafskäse in Olivenöl gegessen haben?«
    »Als du die ganze Nacht Durchfall hattest?«
    »Oder die einsame Hütte in der Provençe, wo der lustige Lavendelbauer uns zum Calvados einlud.«
    »Dich. Mit mir wollte er bloß ins Lavendelfeld, als du eingeschlafen warst.«
    »… und

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