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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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lauschte, hörte wohl das monotone, unendlich tiefsinnige Rauschen der Ewigen Dusche.
    »Du bist doch allein da drinnen, oder?«, bellte sie schließlich.
    Schmalenbach hörte die Worte wohl, aber im Zustand äußerster Verzückung war er unfähig, ihren niederen Sinn zu begreifen.
    Schmalenbach verspürte nämlich soeben die wohltuende Einheit von Geist und Fleisch. Sein Körper und sein Bewusstsein hatten unter der warmen Dusche endlich zusammengefunden. Seit nunmehr schmerzhaften siebenundvierzig Jahren litt er zum ersten Mal nicht unter der fatalen Trennung seiner beiden Grundbausteine. Zum ersten Mal jubilierte es in ihm einhellig, ohne dass eine hämische Stimme mit perfiden Unterstellungen dazwischenging und ihm alles Einverständnis mit sich selbst austrieb wie einen bösen Dämon.
    Schmalenbach erlebte unter der Dusche einen phänomenologischen Orgasmus, der sich von profaner Sexualität vor allem dadurch unterschied, dass er sich weder physiologisch niederschlug noch sich durch eine Begierde blamierte.
    Schmalenbach war Schmalenbach und das ganz und gar, aber sonst auch nichts.
    »Was fällt dir eigentlich ein?«, schimpfte Elke. »Dieses Badezimmer ist uns beiden zur Nutzung übereignet, Schmalenbach. Was wäre denn, wenn ich jetzt auch duschen wollte? Oder was würdest du sagen, wenn ich stundenlang duschen und mich dabei auch noch einschließen würde? Na, was?«
    Schmalenbach drehte den Regulierungshahn noch eine Winzigkeit in Richtung Rot. Mal sehen, dachte er, ob das Wohlbefinden und die Tiefe der Erkenntnis durch Wärmezufuhr noch zu steigern ist.
    Da trat Elke gegen die Tür.
    »Nun mach schon auf!!«, befahl sie. »Ich kann mir schon denken, was du da unter der Dusche treibst. Ich weiß, warum du abgeschlossen hast. Schmalenbach, mir machst du nichts vor. Ich durchschaue dich, ich durchschaue dich schon lange. Ich bin dir wohl nicht mehr gut genug? Du hast wohl Fantasien, die du mit mir nicht mehr teilen willst, was? Und das nach fünfzehn Jahren. Also ich finde das so was von schäbig, ja schäbig, um nicht noch drastischere Formulierungen zu verwenden. Glaube mir, ich werde nicht zögern, mich mit meinen fünf, sechs besten Freundinnen über diese neue Entwicklung in unserer Beziehung zu beraten. Und mach bloß anschließend die Dusche wieder ordentlich sauber, Schmalenbach!«
    Aber Schmalenbach genoss auch die gesteigerte Wärme mit allen Fasern seines Körpers. Er spürte, wie in ihm, der sich noch vor wenigen Tagen schwach und untalentiert gefühlt hatte, eine ungeahnte Kraft erwuchs, die Kraft, Großes zu schaffen – Ströme mit kilometerlangen Staudämmen zu bändigen, eine neue Systematik der abendländischen Philosophie in zehn Bänden zu entwickeln, die Regierung zu stürzen oder den Ironman-Marathon auf Hawai mit Abstand zu gewinnen. Oder noch besser: alles dies zu können, es aber zu lassen. Falls er überhaupt jemals wieder diese wunderbare Dusche verlassen würde …
    Elkes Stimme klang jetzt ganz anders. »Schmalenbach«, hauchte sie. »Ist alles in Ordnung mit dir?« Und dann den Tränen nahe: »Ist dir nicht gut? Hast du einen Schwächeanfall unter der Dusche erlitten? Bist du überhaupt noch bei Bewusstsein, Schmalenbach? Wenn ja, so antworte bitte mit: Alles in Ordnung, liebste Elke. Wenn nein, so schiebe einfach ein Stück Toilettenpapier als Zeichen des Ernstes der Lage unter der Badezimmertür durch!«
    Je reiflicher Schmalenbach es sich überlegte: Es gab mit klarem Verstand besehen keine Veranlassung, in den grauen Alltag zwischen Mietwohnung, Werbeagentur und »Promi« zurückzukehren. Er hatte die Eitelkeiten dieser kleinen Welt des Rhein-Main-Gebietes weit hinter sich gelassen, er hatte das Licht gesehen und das Innere des Seins an sich selbst gespürt – was sollte er noch außerhalb der Reichweite seines Turbo-Duschkopfes? Die Welt hatte für den weisen Duscher Schmalenbach jeglichen Reiz verloren.
    Elke hatte plötzlich etwas Panisches. »Schmalenbach!«, schrie sie, und es war nicht mehr weit zu einem Weinkrampf. »Habe ich irgendetwas getan oder gesagt, das dich gekränkt hat? Ich meine, es gibt doch immer einen Ausweg. Immer, hörst du?«
    Schmalenbach lächelte weise und schüttelte gelassen den Kopf. Gelassenheit, das war die große Lehre, die er aus der Dusch-Seance für ein weiteres Dasein, sollte es überhaupt stattfinden, zog.
    Elke war jetzt still. Wahrscheinlich weinte sie. Schmalenbach würde ihr bei Gelegenheit eine warme Dusche empfehlen. Elke hatte es

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