Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen
verdient, in die Welt der Weisheit eingeführt zu werden – obwohl Schmalenbach befürchten musste, dass sie selbst die verblüffendsten Einsichten in das Sein über dem Einseifen verpassen würde. Vielleicht – Schmalenbach wurde von einer warmen Welle der Güte erfasst –, vielleicht würde er sogar seine beiden unverbesserlichen Freunde Pfeifenberger und Germersheimer mal zu einer warmen Dusche einladen. Aber, das wusste Schmalenbach jetzt schon, das war nun wirklich sträfliche Warmwasserverschwendung und energiepolitisch überhaupt nicht vertretbar.
Jemand machte sich mit grobem Werkzeug am Schloss der Badezimmertür zu schaffen. Schmalenbach hörte es wohl, aber er maß dem keine Bedeutung bei. Dann klingelte irgendwo in der Wohnung, die seine sterbliche Hülle vor Äonen einmal bewohnt hatte, das Telefon. Eilige Schritte. Dann Elke: »Für diiiiich!«
In Schmalenbach zuckte etwas, das Relikt eines früheren Lebens, das animalisch plump auf Telekommunikation reagierte. Aber die Stimme aus seinem Inneren sagte: »Unwichtig oder verwählt, dusch ruhig weiter, Schmalenbach, du hast es verdient.«
»Es ist Elvira, sie sagt, es sei dringend«, zirpte Elke.
Die Stimme im Inneren wollte etwas Gelassenes entgegnen, aber das animalisch Plumpe fiel ihr aufgeregt ins Wort: »Wahrscheinlich der gemeinsame Saunabesuch, sie hat sich endlich dazu durchgerungen, super, gratuliere, Schmalenbach, schnell eine Notlüge für Elke ausgedacht, und dann nix wie ran!«
Doch der Geist der Dusche lachte weise und sagte ruhig: »Erstens kann man mit Elvira vielleicht einen netten Abend verbringen, aber mit ihr über die Dinge des Lebens reden kann man nicht. Und zweitens: Was glaubst du, wie Elvira auf den Rettungsring um deine nicht mehr vorhandene Taille reagiert?« Schmalenbach entschloss sich, weiterzuduschen und das Sein zu ergründen.
Elke schlug mit einem schweren Gegenstand gegen die Tür. Aber Schmalenbach war wieder Lichtjahre entfernt. Da geschah etwas ganz Unerwartetes: Die zentrale Warmwasserversorgung war um diese Zeit nicht auf stundenlanges Duschen vorbereitet, sie gab nach, die Heiligen Wasser wurden kalt und kälter. Schmalenbachs Seele bekam eine unansehnliche Gänsehaut.
Schmalenbach drehte flink den Hahn zu und frottierte sich zitternd ab.
Schon halb, dachte er, ich muss los, sonst nimmt mir wieder einer von den Jungdynamischen den Parkplatz weg. Er stieß sich den großen Zeh und fluchte. Dann stürzte er aus dem Bad und ans Telefon. Vielleicht war ja noch was zu retten. Schade: Aufgelegt.
»Was wollte Elvira denn?«, fragte er Elke, die kopfschüttelnd und die Arme in die Hüfte gestemmt dastand wie ein Bundesligatrainer nach dem Klassenabstieg.
»Ob der Pulswärmer, der gestern Abend an der Garderobe im »Promi« hängen geblieben ist, deiner ist. Was fällt dir ein, so lange zu duschen?«
Schmalenbach zog sich an. »Ich muss los, Schatz! Übrigens, es ist kein warmes Wasser mehr da.«
Er war schon in der Tür, als Elke ihm hinterherrief:
»Was soll ich heute Abend kochen: Spaghetti mit Hackfleischsoße oder Makkaroni mit Pesto?«
Schmalenbach hielt inne, die Welt stand still, er konzentrierte seinen Geist auf das Wesentliche. Dann verkündete er: »Spaghetti mit Pesto!« – und beeilte sich.
Das Klassentreffen
Schmalenbach freute sich seit Wochen auf das Klassentreffen seiner Abiturklasse. Und nun das. Der Primus – 1972 Bundessieger beim Aufsatzwettbewerb, jetzt ein Zahnarzt in Friedberg – hatte dick über die Einladung geschrieben: MIT DAMEN.
Mit Damen? Sie waren doch eine reine Jungenklasse gewesen. Keine Eifersüchteleien, kein Gerangel um die Schönheitskönigin, keine Hahnenkämpfe. Aber nun: Mit Damen.
Wütend rief Schmalenbach in der Friedberger Praxis seines Schulfreundes an, um die unselige Entscheidung rückgängig zu machen. Die Sprechstundenhilfe erklärte ihm, er könnte nächstes Jahr im März einen Termin haben, um die Sache zur Sprache zu bringen.
Schmalenbach saß düster dreinblickend an der Theke des »Promi« und trank sich in Rage. »Mit Damen!«, schrie er nach jedem Bier. »Sind wir denn beim Debütantenball?«
»Du kaufst Elke ein neues Kleid, dann kommt sie sicher gerne mit«, sagte Elvira.
Dieser gut gemeinte Rat aber machte Schmalenbach noch wütender. »Genau das ist die Haltung, gegen die wir damals auf die Straße gegangen sind. Männer zahlen die Klamotten, Frauen geben ihren Körper zu Repräsentationszwecken her. Elke und ich haben da eine andere
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