Die Schlüssel zum Königreich 01 - Schwarzer Montag
eigentlich?«
»Ja, ja, sagt einfach nur dreimal ›Heute Haar, morgen bar‹, und sie werden abfallen«, erklärte ihnen das Vermächtnis und hörte sich ungeduldiger als sonst an. »Ihr müsst verkleidet sein, weil wir einen großen Teil des Vorzimmers durchqueren müssen. Da eure Flucht aus dem Kohlenkeller schon bekannt geworden ist, wird es viele neugierige Blicke geben, die nach uns dreien Ausschau halten.«
»Verstehe«, antwortete Arthur. Er schlüpfte in einen ramponierten Gehrock, der aus zehn Zentimeter dickem Filz geschneidert zu sein schien, ihm aber noch am be sten von den dreien passte, die er eilends anprobiert hatte. Außerdem besaß er eine dünne Tasche im Innern eines Ärmels, in die der Schlüssel passte. Ein Schildchen baumelte an dem Ärmel; Arthur griff danach und wollte es gerade mit dem Schlüssel abschneiden, als das Vermächtnis erschrocken aufschrie: »Nicht! Lass es dran! Das ist deine Wartenummer!«
Arthur betrachtete den kleinen Zettel genauer: Er war aus gewöhnlichem Papier, und mit hellblauer Tinte war eine Nummer daraufgeschrieben: 98564. Die Tinte leuchtete auf und veränderte ihre Farbe, als er an dem Zettelchen zog; sie bewegte sich zwischen Rot und Orange und wurde dann wieder blau. Susi sah auf ihr Schildchen: Es trug eine ähnliche Nummer.
»Jeder im Vorzimmer wartet auf einen Termin bei Herrn Montag in dessen Tagraum«, klärte sie das Vermächtnis auf. »Um warten zu dürfen, muss man eine Wartenummer haben, oder man wird hinausgeworfen. Wenn die eigene Nummer aufgerufen wird, kann man hineingehen und vorbringen, was immer man Herrn Montag zu sagen hat.«
»Große Zahl«, stellte Arthur fest. »Zählen nur die bei den letzten Stellen? Wie viele Leute empfängt er an einem Tag?«
»Alle Stellen zählen. Herr Montag schafft mit Bürgern des Hauses vielleicht zwei Termine pro Jahr«, erklärte das Vermächtnis. »Ich habe die Nummern gestern bekommen, in einer anderen Verkleidung, versteht sich.«
»Sie wollen damit sagen, dass fast hunderttausend Leute … Bürger … darauf warten, zu Herrn Montag vorgelassen zu werden?«, vergewisserte sich Arthur.
»So ist es«, bestätigte das Vermächtnis. »Faulheit! Ich habe es schon früher erwähnt; deshalb sind mit dem Betrieb des Unteren Hauses mindestens hunderttausend Dinge nicht in Ordnung! Nichts kann getan werden ohne Montags Zustimmung, und Montag empfängt die Beam ten nicht, die um diese Zustimmung ersuchen.«
»Wir können keine Zeit mit Schlangestehen verlieren! Ich muss ein Heilmittel beschaffen!«, rief Arthur ungeduldig.
»Wir werden gar keine Schlange zu sehen bekommen. Jetzt, da ihr verkleidet seid, können wir uns ins eigentli che Vorzimmer hinauswagen«, führte das Vermächtnis aus. »In einiger Entfernung von hier werden wir auf einen Verbündeten stoßen, der behauptet, einen Obskurweg in Herrn Montags Tagraum zu kennen. Wir werden diesen Obskurweg beschreiten, du wirst den Größeren Schlüssel erhalten, und alles wird gut sein.«
Susi stieß ein verächtliches Schnauben aus.
»Wer ist dieser Verbündete?«, erkundigte sich Arthur misstrauisch.
»Hm, um nicht lange darum herumzureden, es ist Montags Abenddämmerung«, erwiderte das Vermächt nis. »Nachdem Susi mit meiner Botschaft aufgebrochen war, hat er mich gefunden. Nach einigen kleineren Malheurs habe ich herausgefunden, dass er ein loyaler Diener der Architektin ist.«
»Oder ein besonders gewitzter Feind«, warf Arthur ein. »Haben Sie auch diese Möglichkeit bedacht?«
»Er sieht den wahren Weg«, erklärte das Vermächtnis. »Steh still, und ich werde auf deine Schulter springen.«
Arthur zögerte, blieb dann aber ruhig stehen, und der Frosch sprang ihm auf die Schulter und ließ sich an seinem Hals nieder.
»Sie werden doch nicht versuchen, in meinen Hals zu schlüpfen, nicht wahr!?«
»Es wird nicht nötig sein, dass ich jemanden bewohne, danke sehr«, antwortete das Vermächtnis. »Aber stelle bitte deinen Kragen auf, damit ich mich verbergen kann.«
Arthur tat wie geheißen. Der Frosch fühlte sich seltsam an seiner Haut an; kühl, doch nicht feucht, wie ein kaltes Glas aus dem Kühlschrank.
»Alle bereit?«, erkundigte sich Arthur und schaute Su si an. Er hätte sie nie im Leben erkannt oder für ein Kind gehalten; sie sah eher wie ein Zwerg aus einem Fantasybuch aus. Sie hatte ihre eigene Kleidung anbehalten, aber ihren Hut mit einer seltsam aussehenden spitzen Stoffmütze mit Ohrklappen vertauscht und sich einen stoppligen
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