Die Schlüssel zum Königreich 01 - Schwarzer Montag
Alten …
»Da vorn!«, schrie Susi.
Arthur blinzelte, sah etwas Festes, und dann berührte der Schlüssel es, und er und Susi purzelten durch eine dünne Holztür auf eine enge gepflasterte Straße. Einen kurzen Moment lang dachte Arthur, er wäre wieder im Atrium des Hauses.
Dann traf ein entsetzlicher Gestank seine Nase wie ein Faustschlag, und er wusste, dass er sich geirrt hatte.
Die ganze Straße entlang waren Leichen aufgetürmt. Eine Unmasse von Leichen, die man mit Kalk bestreut hatte; das weiße Pulver verschleierte Gesichter und Gliedmaßen, sodass man sie fast für Statuen oder Schau fensterpuppen hätte halten können, die jemand in Rei hen ausgelegt hatte. Wenn da nicht der Gestank und die Fliegen gewesen wären, die in Wolken über den Lei chen schwirrten, und die Ratten, die zwischen ihnen hindurchhuschten und sich in dem offenen Abwasserkanal tummelten, der an der anderen Straßenseite entlanglief.
Es gab kein Anzeichen, dass noch jemand lebte.
Arthur hielt die Luft an und versuchte, sich nicht zu übergeben, während er sich umschaute. Alle Häuser wa ren schmal und zweigeschossig und ragten über die Straße, sodass diese trotz des strahlenden Sonnenscheins in tiefem Schatten lag. Die Häuser waren bis zu einer Höhe von etwa zwei Metern aus Stein errichtet, darüber aus Holz mit offenliegendem Gebälk und bemalten Fächern. Die meisten hatten Reetdächer; ein paar waren mit Holz oder Schiefer gedeckt; alle hatten hellgestrichene Türen und Fensterläden. In Arthurs Zeit wären das sehr alte Häuser gewesen, wie es sie nur noch in England oder Europa gab. Hier waren sie, wenn nicht neu, so doch zumindest nicht besonders alt.
Das muss früher einmal ein fröhliches Sträßchen gewesen sein, dachte Arthur. Jetzt nicht mehr.
Auf Türen und Hauswänden waren mit weißer Tünche grobe Kreuze gemalt. Arthur wusste, was das bedeutete und was all die Menschen umgebracht hatte.
»Die Pest«, flüsterte er. Wahrscheinlich befanden sie sich im England des siebzehnten Jahrhunderts; dort hatte die Seuche in den 1660er Jahren fürchterlich gewütet. Oder sie waren in einer vergleichbaren Zeit einer anderen Welt gelandet. Wieder einmal wusste Arthur nicht genug über das Haus, die Unwahrscheinliche Treppe oder die Sekundären Reiche, um sicher zu sein.
Plötzlich lockerte Susi die Hand, und bevor er selbst fester zupacken konnte, hatte sie ihn losgelassen und entfernte sich von ihm.
»Susi! Wir müssen weiter!«
Sie ignorierte ihn; er lief ihr nach, als sie die Straße überquerte und gegen eine hellblau gestrichene Tür drückte. Die Tür ließ sich ein paar Zentimeter weit öffnen, dann stieß sie gegen einen Toten, der den Durchgang blockierte. Susi drückte fester gegen die Tür, dann trat sie dagegen und fing an zu weinen. Tränen rollten ihr über die Wangen und hinterließen dunkle Spritzer auf ihrem Schlips, und ihre Flügel hingen schlaff und jammervoll herab.
»Was ist los?«, fragte Arthur. Susi hatte immer so sorglos und unbekümmert geschienen, selbst wenn sie Sauriern oder schwertschwingenden Barbaren gegenüberstand. Was war mit ihr geschehen?
»Dies war mein Haus!«, schluchzte sie. »Jetzt fällt mir alles wieder ein. Hier haben wir gelebt!«
Sie wandte sich dem nächsten Leichenhaufen zu und wollte den obersten Leichnam herumdrehen, um ihm ins Gesicht zu sehen, aber Arthur fiel ihr in den Arm und zog sie fort.
»Du kannst hier nichts mehr tun!«, sagte er eindringlich.
»Und du kannst hier nicht bleiben! Wir müssen die Treppe finden!«
»Gütiger Himmel, es ist Jack Dyers Tochter, Susi, wiedergekehrt als Engel des Todes!«, murmelte eine Stimme.
Für einen entsetzlichen Moment erstarrten Arthur und Susi, weil sie dachten, einer der Toten habe gesprochen. Dann sahen sie, wie jemand, der wie ein Bündel Lumpen aussah, aus dem dunklen Eingang des Nachbarhauses hervorkam. Es war eine alte Frau, die ungeachtet des warmen Tages in ein pelzverbrämtes Gewand gehüllt war. Sie hielt sich ein nasses Taschentuch vors Gesicht; die Mischung aus Gewürznelken- und Rosenöl, mit der es getränkt war, konnte Arthur trotz des Gestanks wahrnehmen, der von den Leichen ausging.
»Also bist du dennoch gestorben«, murmelte die Alte. »Ich habe deiner Mutter gesagt, dass es dumm ist, dich hier wegzuschaffen. Der Tod kennt keine Gemeindegrenzen, habe ich gesagt. Der Tod wandelt, wo er will, in Stadt oder Land.«
»Ist sie tot?«, fragte Susi leise.
»Alle sind tot!«, lachte die Alte. »Alle
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