Die Schlüssel zum Königreich 01 - Schwarzer Montag
Ächzen schwang sie langsam nach innen. Arthur schlug ein Hitzeschwall und der widerliche Gestank fauler Eier entgegen. Die Bibliophagen, die sich vor der Tür aufgetürmt hatten, fielen entgegen Arthurs Erwartung nicht ins Innere; sie blieben einfach in ihrer Lage, als ob sie nun von einer unsichtbaren Barriere draußen gehalten würden.
Falls es tatsächlich eine solche gab, behinderte sie Arthur jedenfalls nicht. Er hielt sich die Nase zu, um sich vor dem Gestank zu schützen, und trat ein. In dem Moment fielen sämtliche Bibliophagen von ihm ab wie Herbstlaub von einem Baum, über den plötzlich ein Sturm hinwegbraust.
Das Innere von Montags Tagraum hatte überhaupt nichts mit einer römischen Villa gemeinsam, nicht einmal mit dem Äußeren des Gebäudes.
Arthur stand auf einer Plattform aus altem schwarz-braunen Gusseisen, einer Insel in einem Meer von Dampf. Durch das offene Rautenmuster im Boden konnte er ungefähr fünfzehn Meter unter sich brodelnden Schlamm erkennen. Dunkelgelben Schlamm, der Blasen warf und blubberte wie kochender Haferbrei und Schwaden stinkenden Dampfes emporschleuderte.
Eine äußerst schmale Brücke führte von der Plattform ins neblige Innere. Auch sie war aus Eisen, und alle paar Schritte war das Monogramm MM in das Rautenmuster gegossen. Arthur konnte nicht erkennen, wohin sie führ te; es war zu viel Dampf überall, und die Brücke wurde schlichtweg von wabernden Wolken verschlungen.
»Dieser Gestank«, sagte Susi langsam. »Er erinnert mich an etwas. Vater sagte, es sei der Geruch von …«
»Schwefeldioxid«, sagte Arthur schnell. »Von dem heißen Schlamm. Wie im Yellowstone Nationalpark. Vermutlich gibt es hier auch Geysire.«
Die Worte hatten kaum seinen Mund verlassen, als dicht neben ihnen ein Geysir eruptierte und kleine Schlammtropfen verspritzte. Susi faltete die Flügel über ihrem Kopf zusammen, um sich zu schützen, während Arthur feststellte, dass der Schlüssel dem Schlamm, der ihn traf, die Hitze nahm.
»Komm weiter«, forderte er sie auf. Er setzte sich wieder auf dem eisernen Steg in Bewegung, aber Susi folgte ihm nicht. Zuerst fiel es ihm nicht auf, aber als er sich nach etwa zwanzig Metern umdrehte, starrte Susi in die Dampfwolken.
»Da oben ist irgendetwas«, sagte sie leise und zog ihr Messer.
Arthur folgte ihrem Blick, und im selben Moment tauchte eine schemenhafte Gestalt aus den dampfenden Schwaden auf. Nicht Herr Montag, dafür war sie zu klein. Sie war in Rosa gekleidet und hatte gelbe Flügel, die einige Federn verloren, als sie über ihnen schwebte.
»Pravuil!«
Arthurs Ruf des Erkennens wurde von einem Arm brustbolzen beantwortet, der geradewegs auf ihn zuzischte. Ohne bewusste Anstrengung seines Trägers traf der Schlüssel das Geschoss in der Luft und spaltete es; die beiden Hälften flogen harmlos rechts und links an Arthur vorbei.
»Nichts Persönliches, Sir!«, rief Pravuil und versteckte sich im Dampf. »Einfach eine geschäftliche Priorität. Jetzt muss ich den Alarm auslösen. Lebt wo… ahhh!«
Die Wolken hatten sich einen Moment lang geteilt, und Susi hatte ihr Messer geworfen. Es traf Pravuil im linken Fuß und blieb dort zitternd stecken. Der Bürger ließ seine kleine Armbrust fallen und bückte sich mit schlingernden Flügeln, um das Messer herauszuziehen.
Bevor Pravuil wusste, wie ihm geschah, sauste Susi zu ihm hinauf.
»Geh weiter, Arthur!«, schrie sie im Flug. Wie ein kleiner Vogel, der einen größeren angreift, wirbelte sie in Kreisen um Pravuils Kopf und trat und kratzte nach ihm. Er vergaß das Messer und schlug zurück. Ihr Kampf trug sie höher, und schnell wurden sie von den Wolken verschluckt.
Arthur stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals, sah nach oben und hielt den Schlüssel kampfbereit, aber außer Dampfwolken und einer einzelnen perlweißen Feder, die in Spiralen herunterschwebte, konnte er nichts erkennen. Er fing sie auf und sah, dass sie blutbefleckt war. Befleckt mit rotem Blut, nicht mit dem blauen Blut eines Bürgers.
Arthur starrte die Feder an; dann öffnete er die Hand und ließ sie fallen. Susi war gegangen, aber ihr Opfer sollte nicht vergebens sein. Selbst wenn sie den Luftkampf verlor – oder schon verloren hatte –, hatte sie Arthur wert volle Zeit verschafft; er würde sie nicht vergeuden.
Er bezwang seine Furcht und lief über die Brücke in die wirbelnden Dämpfe, die Geysire und den Schlammregen. Er lief schneller als je zuvor, und seine Schritte hallten vom eisernen
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