Die Schlüssel zum Königreich 02 - Grimmiger Dienstag
Backbordausstieg öffnete. Aber wie ihr Kapitän versichert hatte, lag auf der anderen Seite klares, blaues Wasser und nur wenige Meter dahinter ein sandiger Strand; etwas weiter weg begann der Dschungel. Wellen, die nicht höher als einen halben Meter waren, brandeten am Rumpf des Sonnenschiffs vorbei und brachen sich am Strand.
Obwohl Arthur es schon durchs Bullauge gesehen hatte, blieb es ein gänzlich unerwarteter Anblick, denn nirgends gab es einen Anhaltspunkt, dass sie sich im Herzen einer Sonne befanden: helleres Licht, zum Beispiel, oder einen Feuerring in der Entfernung.
Stattdessen herrschte normaler Sonnenschein, und die Luft war warm und feucht. Arthur streckte den Kopf aus der Luke und sah zu beiden Seiten Meer bis zum Horizont; ein oder zwei Kilometer vor der Insel brachen sich die Wellen – vermutlich an einem Korallenriff.
Alles in allem war der Anblick idyllisch genug, um ein Ansichtskartenmotiv von einer unverdorbenen tropischen Trauminsel abzugeben.
»Wieso gibt es hier so hohe Wellen?«, wollte Arthur von Tom wissen, als sie hinuntersprangen, denn die Wellen waren größer, als sie zunächst ausgesehen hatten. Das Wasser war warm, aber, da der Strand steil abfiel, auch tief. Arthur musste hüpfen, um nicht von einer vorbeirollenden Welle überspült zu werden.
»Diese kleine Welt unterscheidet sich insofern von den anderen, als sie sowohl hier als auch dort ist, sozusagen«, erläuterte Tom. Er schnappte Arthur und Susi am Kragen und hob sie hoch, um sie vor einem Brecher zu bewahren. »Aber uns bleibt nur die Möglichkeit, hierherzukommen. Wenn wir dorthin führen, wo diese Insel sich auf der alten Erde befindet, würden wir sie nicht sehen und daran vorbeisegeln – unter ungünstigen Umständen würden wir sogar weit vorher Schiffbruch erleiden und untergehen. Ihr solltet jetzt waten können.«
»Danke«, murmelte Arthur, als Tom sie in die anklatschenden Wellen fallen ließ und den Strand hinaufschritt. Der Junge rappelte sich unbeholfen auf, wobei sein lahmes Bein kurz im nassen Sand stecken blieb.
»He, ich bin trocken!«, rief Susi nach nur einem Schritt auf dem Strand. Einen Augenblick vorher hatte sie noch vor Nässe getrieft.
»Ich auch!«, wunderte sich Arthur und befühlte seinen Mantel. Etwas Dampf stieg von ihm auf, aber ansonsten waren der Mantel und alles andere, was er trug, in dem Moment getrocknet, als er das Wasser verlassen hatte.
»Das ist ein großartiger Mantel!«, begeisterte sich Susi. »Ich hoffe, ich kann ihn behalten. Und diese Schuhe halten den Sand draußen und man kann damit prima Nichtlinge treten! Immaterielle Stiefel sind nämlich völlig unempfindlich, sogar gegen Nichts! Zumindest für eine Weile.«
»Du bist ja recht guter Laune«, stellte Arthur gequält fest, aber eigentlich fühlte er sich selbst schon viel besser. Die saubere Luft und der Sonnenschein waren herzerfrischend, und er war sich sicher, dass sie mit Toms Hilfe bald das Vermächtnis finden würden. Sobald sie erst einmal Teil Zwei hätten, würde der sich um Grimmigen Dienstag kümmern können, und alles würde gut werden.
Sein augenblicklicher Optimismus wurde ein wenig gedämpft, weil ihn sein verkürztes Bein im Stich ließ und er im Sand ständig stolperte. Er versuchte zu gehen, wie er es gewohnt war, konnte es aber nicht. Er musste lernen, unterschiedliche Schritte zu machen, und überlegen, wie er den linken Fuß setzte.
Tom hatte den Dschungel schon erreicht und folgte einem sprudelnden Bach, wo die Bäume und das Unterholz nicht so dicht wuchsen, sodass das Ufer einigermaßen begehbar war.
»Für meinen Geschmack ist es hier zu grün und zu feucht«, stellte Susi angewidert fest, während sie patschend dem Bach folgten. Sie schaute zu dem Blätterdach und den Schlingpflanzen hoch und erschauderte. »In diesem Dschungel kann alles Mögliche lauern; da ist mir irgendeine Straße im Atrium tausendmal lieber!«
»Und was war mit deinem alten Versteck mit den Dinosauriern?«, erinnerte Arthur sie. »Da gab es auch Bäume.«
»Aber nur ein paar, und es war im Haus … Wo ist Tom geblieben?«
Arthur und Susi blieben stehen und schauten sich um. Tom war nur ein kleines Stück vor ihnen gewesen; jetzt konnten sie ihn weder sehen noch platschen hören. Der Bach murmelte, und der Wind raschelte in den oberen Baumkronen; sonst gab es keine Geräusche, welche die Stille unterbrachen.
»Tom?«, rief Arthur. »Kapitän?«
Angst und Misstrauen schlichen sich in seinen
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