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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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auftauchen würde, um ihn zu kontrollieren, immer seltener hinunter ins Tal oder hinüber zu anderen Gehöften. Doch wenn er ging, um mit den Menschen über Gott und Jesus Christus zu reden, dann brachte er meist kaum mehr Neuigkeiten über Inga mit. Das lag zum einen daran, dass er nur noch solche Häuser aufsuchte, in denen er auch willkommen geheißen wurde, zum anderen jedoch auch an der Tatsache, dass viele zu zweifeln begannen, ob wirklich die Witwe Inga hinter all den Hilgerschen Todesfällen steckte.
    Niemand anders als die alte Gunda hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Ruf der Freundin wiederherzustellen, indem sie Geschichten über den Fluch des Hilger wiederaufleben ließ, sie ausschmückte und einen weißen Geist als Drahtzieher in den Mittelpunkt des blutigen Rachegeschehens stellte. Manche glaubten ihr wirklich, und sie glaubten ihr erst recht, als erneut ein junges Mitglied der Hilgerfamilie starb, obwohl sich die Witwe Inga doch in der fernen Kapelle bei dem Mönch versteckt hielt.
     
    Inga erfuhr erst Wochen später vom Tode des jungen Heinrich, des Waisen der ältesten Tochter des Hilger, und es schmerzte sie sehr, hatte sie den schönen und klugen Knaben doch wirklich ins Herz geschlossen.
    Gunda war es, die ihr berichtete. Zum ersten Mal nach Ingas Flucht hatte die Alte den Weg zur Kapelle gewagt, trotz des Schneetreibens, welches zu Anfang Dezember in gewaltigem Maße einsetzte.
    »Ich mag diesen Ort nicht. Komme nicht gern hierher«, sagte sie nur mürrisch bei der Begrüßung der Freundin.
    »Weshalb?«, fragte Inga, die sich freute, endlich ein anderes vertrautes Gesicht zu sehen als stets das des Mönches Melchior.
    »Die Toten, die hier liegen, sie behagen mir nicht.«

    »Und wegen der Toten hast du mich nie besucht?«, lächelte Inga.
    »Ach«, sagte Gunda bloß und machte eine abwertende Handbewegung. »Ich wusste erst selbst nicht, was ich von der Sache halten sollte. Habe mich rausgehalten. Das war nicht richtig. Dachte, du grollst mir deswegen, und habe mich nicht hergetraut.«
    »Aber nein, Gunda! Bruder Melchior berichtete mir bereits, dass ich in dir eine erfolgreiche Fürsprecherin gefunden habe.«
    »Ja, so ist es. Und vor allem nach dem Tode des jungen Heinrich glauben viele nicht mehr an deine Schuld.«
    »Was sagst du da?«
    »Weißt du es etwa noch nicht? Gib mir etwas von dem heißen Punsch, der da auf deinem Feuer kocht, und ich erzähle dir alles. Du scheinst ja hier oben in einer ganz anderen Welt zu leben, meine liebe Inga. Alles bleibt verborgen vor dir.« Und sich die knochigen Finger reibend, setzte sich die Alte ächzend und stöhnend auf eine der Holzbänke in der mittlerweile zum Wohnhaus umgestalteten Kirche.
    »Hier war schon lange keiner mehr zum Beten, oder?«, fragte Gunda, sich in dem dunklen Raum umschauend. Dann schnüffelte sie laut, ihren Kopf zu allen Seiten drehend. »Und riechen tut es hier auch ganz anders. Nicht mehr nach ihrem heiligen Rauch. Davon wird mir immer übel. Lieber ist mir der Duft deines Süppchens. Ist da etwa Hühnerfleisch drin?« Und jetzt zog sie ihre Nase auf gleiche Weise über dem kleinen Kessel hoch, in dem Inga ein Allerlei aus Essensresten kochte.
    »Erzähl mir von Heinrich«, sagte Inga aufgeregt, gleichzeitig eine Holzschale mit Suppe füllend.
    »Die Kehle hat man ihm durchtrennt. Im Hilgerschen Wald, gar nicht weit von der Quellmulde, in Hörweite des Hauses.«
    »Wann?«

    »Schon vor Wochen.«
    »Aber man hat ihn gar nicht hier heraufgebracht. Er hätte doch begraben werden müssen.«
    »Er ist begraben. Auf dem Feld unter dem Eichelwald. Da liegt auch die alte Frieda aus dem Tal, die ist am gleichen Tag gestorben – hatte es mit der Lunge. Das Wetter war zu schlecht, um die Toten den ganzen Weg hier heraufzutragen. Das ist alles.« Gunda schlürfte laut aus der Schüssel.
    »Wer war es?«, fragte Inga, durchaus ahnend, dass sie auf diese Frage eine bessere Antwort wusste als die alte Gunda.
    »Das weiß man nicht. Dein Bruder steht nicht unter Verdacht. Die ganze Familie, davon weißt du sicher auch nichts, hatte zu der Zeit fiebrige Pocken. Allesamt, außer der Mutter. Doch keine Angst, sie haben es überstanden, aber raus aus ihrem Lager konnten sie nicht, nicht der Bero, nicht der Meinrad. Sie haben den Heinrich nicht abgestochen. Der Weiße war es.«
    »Der Weiße?« Inga war erstaunt. Was wusste Gunda über den Weißen?
     
    Sie hatte selbst keine Ahnung, was sie trieb, aber Inga konnte nicht anders. Gleich

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