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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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gesehen. Erst dachte ich, es sei ein Geist oder ein Zauberer. Aber nun denke ich, dass es sich bei ihm um einen Menschen aus Fleisch und Blut handelt. Vielleicht mit Zauberkräften, aber dennoch sterblich. Er lebt in der Höhle der Seherin Wanda, doch ich kann sie gewiss nicht wiederfinden, er hatte mir die Augen verbunden.«
    »Du warst bei ihm?«
    »Ja. Um Ansgar zu versorgen. Er hatte diesen Streich an der Schulter erhalten. Der Weiße hatte ihm die Verletzung beigebracht, wollte aber nicht, dass er stirbt. Sicherlich hat er ihm auch den Geist umnebelt.«
    »Was sprichst du da für wirres Zeug, Inga? Lass das niemanden wissen, sie werden dich nur noch mehr für eine Unholdin halten und dir nach dem Leben trachten.«
    »Ich hätte es niemandem gesagt, wenn nun nicht auch Heinrich tot wäre. Dass Ansgar nicht mehr ganz richtig im Kopf ist, das ist mir gleich, aber der Tod dieses Knaben erschüttert mich. Und ich glaube, sein Mörder will alle Hilgerschen töten. Denk nur an deine Kinder! An Friedrich! Er ist der einzige Erbe, der noch verblieben ist.«
    »Warum sollte ein weißer Mann so etwas tun, Inga? Warum er und nicht deine Familie? Hat sie nicht viel mehr Grund?«

    »Du weißt selbst, dass sie es nicht waren. Keine dieser Taten geht auf Bero oder meinen Vater zurück. Keine einzige.«
    »Und wer soll dieser Weiße sein? Und warum hegt er einen solchen Groll?« In Adas Stimme klang deutlicher Zweifel mit.
    »Ich weiß es nicht, Ada. Ich weiß es nicht. Hilf mir, ihn zu finden, und du wirst sehen, dass ich die Wahrheit spreche.«
    »Warum ich? Warum erzählst du es nicht Liudolf und den anderen Leuten? Dann könntet ihr alle gemeinsam zum Eschenberg ziehen und den Unhold ausfindig machen.«
    »Sie würden mir nicht glauben. Ich kann niemals zu ihnen. Du weißt, was dann geschieht.«
    Ada nickte. »Aber die Mönche. Sie könnten dir helfen.«
    Inga zuckte mit den Achseln. »Bruder Agius ist fort.«
    »Ich hörte davon. Wie soll es nur mit dir weitergehen, Inga? Du kannst doch nicht ewig in der Kirche Obdach suchen? Wovon lebst du? Allein von den Almosen der Mönche? Verschwinde doch einfach von hier. Geh nach Huxori oder gar ins ferne Paderborn. Beide Orte sollen prächtig gedeihen, und vielleicht findet sich dort ein neuer Mann für dich.«
    »Wer soll mich nehmen? Außer für eine Stunde vielleicht. Das ist doch das Einzige, was mir übrig bleibt. Doch so weit bin ich noch nicht gesunken, Ada. Noch lange nicht. Ich will, dass sie mir glauben. Dass sie wissen, dass nicht ich es war. Und dann will ich weiterleben – hier will ich leben, meine Kräuter sammeln, meine Salben und Tinkturen herstellen.«
    »Und darum hast du diesen weißen Mann erfunden.«
    »Was denkst du, wer es war, Ada? Wer hat Heinrich hier an dieser Stelle ermordet? Wer?« Inga blickte die andere ernst und entschieden an.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Ada leise, wandte sich um und ging zurück zur Quelle, um den Eimer zu füllen. Dann stapfte sie zum Haus. Inga blieb allein im Wald zurück.

XXV
    E in solcher Mensch ist dem Untergang des Fleisches ausgeliefert, damit der Geist gerettet wird für den Tag des Herrn.«
    Agius lag bäuchlings auf dem eisig kalten Lehmboden der Klosterkirche. Es war die Zeit zwischen Vesper und Komplet, die Zeit, in der es ihm die Buße auferlegte, regungslos in der Kirche zu verweilen. Der Prior hatte von einer körperlichen Bestrafung des Agius abgesehen, aber er war ausgeschlossen worden. Den Regeln des heiligen Benedikt zufolge war er für seine schweren Verfehlungen von Oratorium und Tisch verbannt, durfte mit niemandem reden und auch nicht angesprochen werden. Nach jedem Gottesdienst musste er vor der Kirche warten und sich dann den Heraustretenden vor die Füße werfen, mit dem Gesicht im Staube. Erst wenn alle das Gotteshaus verlassen hatten, durfte er hinein, um zu beten, still und demütig.
    So ging es schon seit Wochen, und so war es auch heute, an diesem besonders kalten Tag, an dem Agius die ihm wohlbekannte und gleichermaßen verachtete Stimme des Taddäus vernahm. Leicht hob er seinen Kopf und wandte ihn zur Seite. Da stand er, neben ihm, in seiner grauen Kutte, die winzigen Füße mit ledernen Riemen umwickelt.
    »Erhebe dich, Agius, damit wir reden können.«
    »Das darf ich nicht«, antwortete Agius, die Worte in Richtung Boden murmelnd.

    »Ich sage dir, erhebe dich.«
    Agius gehorchte widerwillig. Sein Blick voller Zorn, von Demut keine Spur.
    »Was führt dich erneut hierher,

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