Die Schluesseltraegerin - Roman
Taddäus?«
»Die Neugierde, mein lieber Freund, nichts als die Neugierde.«
»Du willst mich büßen sehen?«
»So ist es. Ich bin enttäuscht von dir, Agius. Bitter enttäuscht. Ich hätte dich für ehrgeiziger gehalten. Ich hatte mir viel von dir erhofft. Du hättest den Abt Adalhard, Gott habe ihn selig, in seinem Amte beerben können. Du hättest der erste, ständig anwesende Abt dieses neuen Klosters werden können. Wala war einer deiner Fürsprecher. Im Gegensatz zu seinem verstorbenen Bruder hält er nicht viel von dem schwachen Wulfram. Doch leider, leider hast du es vorgezogen, in deiner Bergkapelle zu verweilen – und der Beweggrund für diese Entscheidung ist ein solch niedriger, dass es mich ekelt, wenn ich ihn mir in Erinnerung rufe.
Fragte mich einer, ob ich darüber verwundert bin, dass ein solch gefestigter Geist wie Agius der fleischlichen Sünde verfällt, so würde ich antworten: Nein. Denn anders als der darüber erschütterte Prior Wulfram kenne ich dich gut.«
»Es ist der Mangel an Gelegenheit, der dich nicht schon längst zu einem ebensolchen Sünder gemacht hat, Taddäus.«
Taddäus’ Augen blitzten bei diesen Worten des Agius hasserfüllt auf.
»Du sprichst nicht wie ein reuiger Büßer, eher wie ein geiler Rüde, der alles bespringt, was ihm über den Weg läuft.«
»Das sind deine Worte, Taddäus.«
Agius blieb ruhig. Er schämte sich dessen, was er sagte, nicht. Er hatte in den letzten Wochen genügend Zeit gehabt, nachzudenken. Und er schämte sich nicht, er schämte sich keiner
seiner vergangenen Handlungen, keiner einzigen – außer der, dass er gezwungen war, sich hier hinter diesen Klostermauern derartig demütigen zu lassen. Das war, im Grunde seines Herzens, das Einzige, was ihn bedrückte.
»Was wirst du tun, wenn deine Bußübungen vorüber sind, Agius?«
»Das werde ich dir nicht sagen.«
»Viel bleibt dir nicht.«
»Was würdest du dir wünschen, Taddäus?«
»Du weißt, was ich mir gewünscht hätte, Agius. Nun übernimmt Wala die Aufgaben seines Bruders, nichts wird sich verändern. Im Gegenteil, sein Einfluss auf den Kaiser ist sogar noch größer. Und dieser Einfluss ist nur dem Anschein nach dem Wohle der Einheit gewidmet.«
»Wala zäumt das Pferd von der anderen Seite auf. Das ist es, was dich stört. Er sieht die Kirche als leitende Macht, du den Hof. Aber wer soll den kaiserlichen Hof deiner Meinung nach anführen? Ludwig? Er scheint nicht zu wissen, was er will. Hört einmal auf diesen, dann auf jenen, meistens jedoch auf seine Frau. Sein Sohn Lothar? Ich kenne sein Wesen nicht, aber du sagtest selbst, dass sich Wala seiner angenommen hat. Mit Erfolg. Und das beweist, dass dessen Weg der vielversprechendere ist. Die Reichskirche, nicht die Hofkapelle, ist in der Lage, die gewünschte Einheit zu stiften. Ich für meinen Teil jedoch befürchte, dass letztendlich Dritte es sein werden, die den Sieg nach Hause tragen. Ja, es werden Dritte sein, und es ist nicht an mir, mich darum zu bekümmern.«
»Nein, das bekümmert dich nicht, denn was dich bekümmert, bist allein du selbst. Du bist es, der dir am nächsten steht. Du, dein eigenes Wohl und die Befriedigung deiner sündhaften Begierden. Ich hingegen strebe nach Höherem, ich habe eine Vision, und diese Vision gilt es zu vollbringen. Allein, es
gibt zu viele mächtige Unfähige, die glauben, es besser zu wissen als ich.«
»Was geht das dich an, Taddäus? Du bist ein einfacher Mönch. Zieh dich zurück, gehe in ein Kloster und arbeite an Dingen, die du überschauen kannst. Du wirst sehen, der Erfolg im Kleinen ist gottgefälliger als das vergebliche Streben nach Großem.«
»Was soll das für eine Predigt sein, Agius? Hast du auch sie damals mit solchen sinnlosen Worten beeinflusst?«
»Ich habe sie nicht beeinflusst.«
»Oh doch, das hast du. Völlig verändert war sie ab dem Zeitpunkt, wo du am Hofe weiltest.«
»Das bildest du dir ein. Sie war bereits krank, als ich kam. Die Krankheit war es, die sie so veränderte.«
»Und trotz ihrer Krankheit hast du dich an ihr vergriffen.«
»Warum kannst du nicht vergessen, Taddäus? Und warum quälst du dich mit bösen Fantasien?«
Taddäus schwieg und schaute bitter zu Boden, dann sprach er: »Was hat sie dir anvertraut in ihren letzten Stunden?«
»Das darf ich dir nicht sagen. Sei gewiss, dass es nichts war, was sie nicht schon zuvor mit dir besprochen hatte.«
»Warum bist du dann damals so eilig vom Hofe geflohen?«
»Das weißt du so gut
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