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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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ihren schwersten Stunden.«
    Taddäus bebte nach diesen leidenschaftlich vorgetragenen Worten des Agius vor Wut. Dennoch blieb er äußerlich ruhig und fragte nur: »Bereust du?«
    »Was ich zu bereuen habe, bereue ich. Mehr nicht.«
    »Ich werde dem Prior ausrichten, dass ein räudiges Schaf in seiner Herde weilt, und ihm raten, das Messer zum Abschneiden anzusetzen.«
    Mit diesen Worten verließ Taddäus die Kirche.

XXVI
    I hr Weg führte sie an dem hohlen Baum der Wanda vorbei, hinauf auf den Eschenberg. Der Pfad war rutschig, und so wählte sie den bequemeren Weg über die Felder. Es waren Hilgersche Felder – noch immer lagen sie brach. Sie lagen brach, obwohl Ansgar in diesem Jahr tatsächlich den Rat der Mönche hatte befolgen wollen, Wintergetreide zu säen. Doch dazu war er nicht mehr gekommen. Er war wirr, und der Hof des Hilger war nun herrenlos, denn alle anderen erwachsenen und auch heranwachsenden Männer hatten in nur wenigen Monaten den Tod gefunden – sämtliche Erben und eine schwangere Frau. Nein, zwei schwangere Frauen, denn auch Berta war tot.
    Es sollte nicht sein, dachte Inga. Die Hilgerschen durften offenbar nicht fortbestehen. Würde man die Reihe fortsetzen, müsste demnächst den Söhnen des Ansgar ein Leid geschehen. Sie und der alte Ulrich waren neben dem kindischen Ansgar nunmehr die einzigen lebenden männlichen Angehörigen der Sippe. Das musste Ada doch erkennen. Sie musste es doch erkennen und sich fürchten. Inga an ihrer Stelle hätte sich entsetzlich gefürchtet.
    Der Weiße tötete alle Erben, sogar die ungeborenen.
    Auch Ingas ungeborene?
    Vier waren es gewesen, und sie alle hatten nicht leben dürfen.
    Genauso wenig wie das Kind der Uta.
    Die Zwillinge hatten dieses tückische Gift gefunden. Sie
hatten es in dem Grubenhaus entdeckt. Ein Gift, welches der Hofhündin die fast fertigen Welpen tot aus dem Bauch gespült hatte. Die Welpen genauso wie Ingas Kinder.
    Der Weiße trieb sein Unwesen also schon lange, aber warum versteckte er seine bösen Zaubertränke dann auf dem Hilgerschen Hof? Wieso führte er sie nicht mit sich? Und woher nahm er sie?
    Er war nicht heilkundig, das stand fest. Denn auch jemand, der sich ganz und gar der schwarzen Magie verschrieben hatte, hätte im Zweifelsfall eine Wunde wie die des Ansgar versorgen können. Doch um diesem, seinem Feind, das Leben zu retten, hatte er Inga zu Hilfe holen müssen.
    Aber warum durfte Ansgar leben? Umnebelt zwar, aber noch immer auf Erden wandelnd, während Rothger, Gernot und Heinrich bereits in ihren kalten Gräbern lagen?
    Er nutzte nichts auf dem Hofe, konnte nicht mehr arbeiten, nicht einmal die einfachsten Aufgaben verrichten, geschweige denn die Familie führen. Er war nur noch da. Und solange er da war, gab es einen Herrn. Solange es einen Herrn gab, würde niemand den Hilgerschen ihre Besitzungen streitig machen.
    Aber warum das Ganze? Warum nicht alles zerstören, wenn man so sehr hasste, wie der Weiße zu hassen schien? Warum nicht auch Ansgar töten, die Familie herrenlos machen und die Besitzungen an die Kirche verschenken? Damit wären die Hilgerschen ruiniert, ihre Freiheit ausgelöscht und sie zu einfachen Lehnsleuten geworden. Nein, die Kirche sollte es offenbar nicht haben. Nicht sie, sondern jemand anders. Wer? Worauf wartete der Weiße?
    Er musste auf jemanden warten, und wenn dieser Jemand kam, den Hof zu übernehmen, dann würde Ansgar gehen müssen.
    Doch wer sollte kommen?

    Der Weiße selbst?
    Er war alt, steinalt.
    Gisela!
    Inga blieb reglos stehen, in dieses Wirrwarr von Gedanken verloren. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, ihr Blick blieb starr und ungerührt.
    Die heimtückische Gisela.
    Sie war es. Sie war die weiße Frau.
    Und sie wartete.
    Sie wartete auf ihren Bräutigam, wer immer es war.
    Sie wäre die Erbin des Hilgerhofes, wenn Ansgar stürbe.
    Sie und der Mann, den sie dann heiraten würde. Denn Ansgars Kinder waren noch zu jung.
    Hatte Gisela sich verzaubern lassen? War sie diesem greisen Waldschrat verfallen?
    Zuzutrauen war es ihr.
    Nein, das alles war zu verrückt, vollkommen abwegig.
    Viel eher kamen ganz andere in Frage: Sie selbst, Inga, stand noch immer an erster Stelle. Rache wäre ihr Motiv. Doch wieso hätte sie den unschuldigen Heinrich töten sollen? Ingas Familie, die alte Fehde, die Rache für den totgeschlagenen Großvater. Doch wären die Meinradschen so weit gegangen, dann wären sie nicht davor zurückgeschreckt, auch Ansgar zu töten. Ja, gerade

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