Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
Vom Netzwerk:
ihres Vaters in Augenschein nehmen. Denn mit großer Sicherheit war auch Bero an diesem Tage mit Ochsen und Knechten ausgezogen, um zu pflügen.
    Doch dem war nicht so. Denn dort auf dem Feld, welches sich, äußerst fruchtbar, gleich hinter dem Opfermoor erstreckte, erkannte sie den alten Knecht Ivo. Er, der schon auf dem Hofe des Meinrad gelebt und gearbeitet hatte, als Inga noch ein winziges Kind gewesen war, er, der dem Anschlag des Ansgar vor einigen Monaten mit gebrochenen Knochen, aber immerhin lebendig entgangen war, führte den Pflug. Und hinter dem schweren Gerät war ein zweiter, Inga unbekannter Knecht damit beschäftigt, all sein Gewicht auf den Karren zu stemmen. Von Bero keine Spur. Und so reich, dass sie sich zwei Pflüge und ein weiteres Ochsengespann hätten leisten können, waren selbst die Meinradschen nicht – noch nicht. Wo also war Bero?
    Inga schlich weiter zum Hof und verbarg sich in der Nähe des Hoftores, um vorsichtig durch die Zaunspalten zu spähen. Dort tat sich nichts. Der Hof war ordentlich, alles war gefegt, Blumen und Bäume begannen bereits zu blühen, Katzen streiften
herum, Hühner pickten nach Würmern, und ein offenbar neuer, sehr aufmerksamer Hofhund hatte zu Ingas Unglück beschlossen, seiner Pflicht nachzugehen und Fremde auf laute und bedrohliche Weise zu begrüßen. Wie ein wilder Werwolf, die Zähne fletschend und grauselig knurrend, sprang das riesige Biest am Zaun empor und teilte jedem mit, dass da jemand vor dem Grundstück stand, der nicht hierher gehörte. Ja, er war so wütend, dass es ihm nach einer Weile, trotz Ingas guten Zuredens, sogar gelang, über den mannshohen, aus dünnen, aber langen Weidenruten geflochtenen Zaun zu springen und der fliehenden Inga nachzueilen.
    Zum Glück hatte Inga das Klettern nicht verlernt und konnte sich gut an eine knorrige Eiche erinnern, die, mittlerweile tot, aber darum um so besser erklimmbar, unweit des Hofes im Walde stand. Im Nu saß sie oben und wurde von unten böse angebellt. Niemand kam, um nach ihr zu schauen.
    Offenbar war der Hund der einzige Aufpasser auf dem Hofe, ein gründlicher dazu, während alle anderen, auch die Eltern, auf den Äckern oder sonstwo zu sein schienen. So saß Inga eine halbe Ewigkeit auf dem Baum; alle Glieder waren bereits eingeschlafen, doch sie wagte sich nicht hinunter. Er würde sie sicherlich zerfleischen. Laut war er zudem, und das machte ihr ebenfalls Sorge, denn bald würde sicherlich jemand auf sie aufmerksam werden. Und es gab genügend Leute in dieser Gegend, von denen sie nicht gesehen werden wollte.
    Plötzlich hielt der garstige Köter inne, schnüffelte in der Luft herum, verzog seine Schnauze wieder zu einer Grimasse, knurrte und sprang in den Wald davon. Was immer er auch gewittert hatte, Inga war es gleich. Sie sprang eilig vom Baum hinunter und hatte gerade erleichtert aufgeatmet, als sie eine Stimme vernahm.
    »Verschwinde, du verfluchter Wüterich«, rief jemand. Eigentlich
durften Gottesmänner solche Worte nicht in den Mund nehmen, aber dennoch war Inga sich sicher, dass ihr diese Stimme äußerst bekannt vorkam. Ein abwechselnd wohliger und wieder kalter Schauer lief ihr tief den Rücken herunter.
    »Verschwinde, habe ich gesagt! «
    Kein Zweifel, er war es.
    Inga nahm sich ein Herz und ging vorsichtig, aber dennoch schnellen Schrittes in Richtung der Stimme, und dann musste sie herzlich lachen. Dort saß Agius. Er war auf einen Baumstumpf geklettert, der jedoch nicht ausreichend hoch war, um einen guten Schutz gegen das Untier zu bieten, welches unermüdlich an dem Stumpf emporsprang.
    Auf einmal geschah es. Inga hielt sich die Hände vor die Augen, um nicht hinsehen zu müssen, aber schließlich konnte sie der Versuchung doch nicht widerstehen, blickte durch die gespreizten Finger hindurch und amüsierte sich köstlich.
    Der Hund hatte einen Zipfel der Kutte des Mönches zu fassen bekommen und so wild daran gezerrt, dass der schöne Agius nun ganz so auf dem Baumstumpf stand, wie Inga ihn zuletzt gesehen und noch gut in Erinnerung hatte. Nackt.
    Es war ein Bild für die Götter. Ja, man hätte fast glauben können, ein schöner Alb, ein Wesen aus der Feenwelt, sei ganz so, wie ihn Mutter Natur geschaffen hatte, auf einen Ausguck gestiegen, um sein Waldreich in Augenschein zu nehmen.
    Der Hund war samt seiner Beute auf und davon, und nun kam Inga vorsichtig näher. Sie zitterte am ganzen Körper, zum einen vor zurückzuhaltender Belustigung, zum anderen vor Aufregung.

Weitere Kostenlose Bücher