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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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erscheinende Gestrüpp zu kämpfen, um den Weg zur Höhle der Wanda zu finden.
     
    »Da«, flüsterte Melchior erschrocken.
    »Psst«, zischte Agius.

    Da war er tatsächlich. Er hockte vor seinem Unterschlupf und säuberte mehrere hölzerne Schalen, indem er sie mit trockenem Laub ausrieb.
    »Was nun?« Melchior formte diese Worte, ganz ohne Ton, nur mit seinen Lippen.
    »Wir schleichen uns von hinten an. Ich haue ihm eins über den Kopf, und du ziehst ihm den Sack über. Dann binden wir ihn. Alles muss schnell gehen.«
    Gesagt, getan.
    Wie zwei graue Katzen schlichen sich die beiden Mönche fast lautlos durchs Unterholz, und es gelang ihnen – welch Wunder – tatsächlich, sich so weit anzupirschen, dass der zu Fangende nur wenige Schritte entfernt mit dem Rücken zu ihnen saß.
    Er war noch immer beschäftigt und schien nichts gehört zu haben.
    Vorsichtig, das keulenförmige, starke Wurzelholz in beiden Händen haltend, ging Agius auf sein anvisiertes Opfer zu. Melchior folgte ihm auf den Fersen. Er trug einen großen Sack, welchen er bereits weit geöffnet hatte, um bereit zu sein, ihn dem hoffentlich gleich Wehrlosen über den Kopf zu ziehen. Die zum Binden notwendigen Stricke hatte er sich in die Kordel geklemmt, die ihm als Gürtel diente. Auch sie waren griffbereit.
    Der Plan schien aufzugehen, denn schon ließ Agius die Keule schwungvoll sinken. Aber – wer hätte das gedacht? – der Weiße rollte sich wieselflink zur Seite, sodass der Mönch samt Schlaginstrument zu Boden fiel. Kaum lag er dort, stand der Angegriffene bereits über ihm, nun seinerseits die Keule in der Hand, mit der er Agius einen heftigen Hieb auf den Kopf versetzte. Der Mönch blieb blutend und regungslos liegen.
    Melchior überlegte verzweifelt, wie er dem Bruder zu Hilfe eilen könnte. Selbst nur mit dem besagten Sack bewaffnet, hatte er auf dem Waldboden nach einem dicken Stock gesucht,
aber lediglich einige Steine gefunden, mit denen er den Weißen nun bewarf, doch dieser ließ sich von dem Angriff des zweiten Mönches nicht beirren. Er griff unter sein schmutziges, löchriges Gewand und hatte im Nu einen Dolch in der Hand, mit dem er ausholte, um ihn nach dem verzweifelten Melchior zu werfen. In diesem Moment jedoch – Melchior hatte bereits mit seinem Leben abgeschlossen – flog eine andere Waffe durch die Luft. Sie kam wie aus dem Nichts und traf den Waldmann im Rücken. Den Dolch ließ er fallen, und dann fiel er selbst, mit dem Gesicht auf den Schoß des noch immer reglos daliegenden Agius.
    Melchior konnte sein Glück kaum fassen. Wer war es, der ihm soeben das Leben gerettet hatte? Und auch das Leben des Agius – so hoffte er, denn er war sich nicht sicher, ob dieser nur die Besinnung verloren hatte oder gar erschlagen worden war.
    Aus dem dichten Geäst kämpfte sich eine Gestalt nach vorn.
    »Sei froh, Mönch, dass ich euch gefolgt bin.«
    »Bero vom Meinradhof. Du bist unser Retter! Gott wird es dir lohnen.«
    Bero antwortete nicht, sondern eilte zu den beiden Männern, die dort in ihrem Blut zwischen Laub und Zweigen lagen. Zunächst beugte er sich über den weißen Mann. Er regte sich noch ein wenig, schlug ein letztes Mal die Augen auf und fragte: »Wer hat mich getötet?«
    »Bero, der Sohn des Meinrad.«
    »Kein Hilgersohn.«
    »Nein.«
    »Das ist gut.«
    »Wer bist du?«, fragte Bero noch, aber die Frage kam zu spät. Der Alte verdrehte die Augen und hauchte sein Leben aus.
    Agius hingegen, um den sich Melchior bereits zu kümmern begonnen hatte, schien sein Leben noch ganz und gar nicht
aushauchen zu wollen. Nachdem sein Mitbruder ihm immer wieder links und rechts mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen hatte, hatte er schließlich die Augen geöffnet, ein wenig gestöhnt und »Wo bin ich?« gestammelt. Ein gutes Zeichen, dachte sich Melchior und begann, dem Verletzten die blutende Stirn mit einem Stück Stoff zu verbinden, das er von seiner Kutte abriss.
    »Wir werden sie kaum beide ins Tal bringen können«, meinte Bero. »Lassen wir den Waldmann erst einmal hier liegen. Wichtiger ist es, deinen Freund zu versorgen. Tragen wir ihn doch zur alten Gunda, sie versteht sich mittlerweile auf die Heilkunst. So tut sie jedenfalls kund.«
    Und so brachten die beiden Männer den verletzten Agius zur krummen Gunda. Es war ein beschwerlicher Marsch, denn sowohl Bero als auch Melchior waren nicht von kräftiger Statur und Agius so schwach, dass er sich nicht einmal schleppend und gestützt fortbewegen konnte – er

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