Die Schluesseltraegerin - Roman
neu ist, und die Art und Weise, wie er euch nahegebracht wurde, findet nicht bei allen meinen Brüdern Anklang. So auch nicht bei mir. Viele von uns halten Zwangstaufen für den falschen Weg, und auch über den Sinn des Kirchenzehnten streiten wir uns. Damit haben wir uns weit davon entfernt, euer Vertrauen zu gewinnen. Und mehr als das wollen wir nicht – nicht eure Freiheit, nicht euer Land, nur euer Vertrauen in die Richtigkeit dieses für euch neuen Glaubens.«
»Uns ging es vorher besser«, antwortete Ansgar nur, und Inga musste über seine Worte leise lachen, denn sie fand, dass er mit diesem schlichten Satz die reine Wahrheit sprach.
Agius sah sie verstohlen an. Es war das erste Mal an diesem Abend, dass sein Blick merklich auf Inga fiel. So selbstsicher und überlegen er auch den Männern entgegentrat, so sehr verunsicherte ihn offenbar das kaum hörbare Lachen dieser Frau. Gisela und Berta hatten bislang in einem fort gekichert, doch das schien er nicht wahrgenommen zu haben. In Ingas Fall war das anders.
Betrachtet hatte er sie bisher noch nicht. Und er vermied es, dies eingehender zu tun, aber er verfügte über die Gabe, sich auch in kurzer Zeit aus den Augenwinkeln einen Überblick
über Anwesende zu verschaffen. Und so waren ihm weder Gisela und Berta noch Ada und Inga entgangen, obwohl er sie weder begrüßt noch jemals das Wort an sie gerichtet hatte.
Gisela und Berta – da fällte er sein Urteil schnell – waren nichts weiter als dumme und unschöne Hühner, Ada war eine traurige, in sich gekehrte, von vielen Geburten gezeichnete Frau. Sicherlich interessant, aber ohne diesen gefährlichen Reiz, den die blonde Frau, die Witwe, auf ihn ausübte.
Innerlich wünschte er sich, ihr nie wieder begegnen zu müssen, und als sie über die Worte des Schwagers lachte, musste er sie unwillkürlich anschauen, denn dieses Lachen hatte seine Befürchtungen bestätigt. Sie war gefährlich, diese Frau, ungläubig und viel zu gefährlich. Keine Frau durfte jemals wieder gefährlich für ihn werden.
Verstört blickte er zur Seite und richtete dann die Augen wieder auf Ansgar, um das Gespräch fortzusetzen.
»Nun gut, vielleicht ist das nicht der richtige Ort und heute nicht die richtige Zeit für solche Gespräche. Aber vielleicht sehen wir uns in nächster Zeit bei der Kirche. Um eure Hilfe wage ich nicht zu bitten, aber ein Besuch würde uns sehr freuen.«
»Dort drüben in der Halle steht ein Wagen, den fahren wir alsbald zur Zehntscheune«, brummte Ansgar. »Er ist mit vielem beladen, auch mit Holz. Sucht euch heraus, was ihr benötigt, tragt es auf euren Berg und baut eine Kirche oder einen Schweinestall daraus. Aber weiter verlangt nichts von uns, denn den Zehnten an euch abzugeben, ist mir entehrende Last genug.«
»Ich verstehe«, sagte Agius und erhob sich. »Der Sturm scheint sich gelegt zu haben. Wir gehen, sonst sind wir vor Mitternacht nicht zurück. Habt vielen Dank für eure Gastfreundschaft. Gott möge euch beschützen und auf den rechten Weg führen. Wir sehen uns gewiss bald wieder.«
Auch Melchior erhob sich, nickte allen Anwesenden eifrig zu
und grinste dabei. Inga lächelte zurück, dann stand auch sie auf und ging auf Melchior zu.
»Ich habe eine Frage, Herr Mönch«, wandte sie sich schüchtern an ihn.
»Ja, ja?«, antwortete Melchior und strahlte sie an.
»Auf eurem Weg hierher ist euch nicht etwa eine Frau begegnet? Dunkles Haar hat sie, etwas kleiner als ich mit einem kugelrunden Bauch. Sie erwartet ein Kind und ist heute nicht heimgekommen.«
»Nein, nein, haben wir nicht gesehen. Auf dem Weg von der Siedlung hierher war sie nicht, nein, nein. Nun gehen wir durch den Wald zurück zum Berg, dort werde ich Ausschau halten, so weit das im Dunkeln möglich ist.«
»Und nach ihr rufen, wenn auch das möglich ist. Uta heißt sie.«
»Warum sucht ihr sie nicht selber?«, fragte Agius, der das Gespräch belauscht hatte und Inga wenig freundlich ansah.
»Sie ist ein Friedel, wenn euch das etwas sagt«, antwortete Ansgar, packte Inga am Oberarm und stieß sie nach hinten fort. Inga zog sich nur wenige Schritte zurück.
»Eine zweite Ehefrau also. Wessen zweite Ehefrau?«, wollte Agius wissen.
»Die meines Bruders. Eine Hure, die hier im Grunde nichts verloren hat. Wir haben sie nicht verstoßen. Nun ist sie freiwillig gegangen, und ich werde mich hüten, ihr nachzulaufen und sie zu bitten zurückzukommen.«
»Wir werden Ausschau nach ihr halten«, antwortete Agius, und damit
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