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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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verschwand er in die Dunkelheit. Melchior jedoch drehte sich zuvor noch einmal um, suchte mit seinem scheelen Blick nach Inga, fand sie und nickte ihr freundlich zu. Dann ging auch er.

III
    D er Herbst hatte mit der ihm eigenen Ungemütlichkeit auch Einzug hinter die Mauern des jüngst errichteten Klosters Corbeia Nova gehalten. Zugig war es in den hölzernen Bauten der Mönche, es pfiff durch sämtliche Ritzen, alles war klamm und feucht. Ausreichend beheizt und wohlig war es lediglich im Lesesaal, in welchem auch die vorläufige Bibliothek untergebracht war. Aus Sorge um die kostbaren Pergamente ließ der Prior wenigstens hier für ein angenehmes Klima sorgen.
    Nicht lange, so war den Benediktinern versprochen worden, würde dieser hölzerne Zustand noch andauern. Sehr bald werde man ein prunkvolles Kloster aus Stein errichten. Zunächst jedoch, und das hatte den absoluten Vorrang gehabt, war es notwendig gewesen, sich von der Welt abzugrenzen – durch eine steinerne Mauer, verstand sich. Ein Holzzaun allein hätte zu diesem wichtigsten Zwecke nicht ausgereicht. Das nächste steinerne Projekt würde der Bau einer Klosterkirche sein, auch sie bestand vorläufig noch aus Holz und stellte ein wenig würdiges Aushängeschild dieses zu Großem berufenen Klosters dar.
    Die Bruderschaft hatte sich bereits an ein entbehrungsreiches Leben gewöhnen können. War doch die erste Klostergründung bei dem zwei Tagesmärsche entfernten Hethis fehlgeschlagen. Und das, so war den Mönchen mitgeteilt worden, weil es dort in dieser ewig kalten, im Winter mannshoch verschneiten und im Sommer stets nebligen Hügellandschaft nahezu unmöglich
war, den Grundsätzen des heiligen Benedikt Genüge zu tun, ohne dabei fast wöchentlich einen an den Folgen des unsäglichen Klimas verstorbenen Bruder zu Grabe zu tragen.
    Tatsächlich hatte es noch weitere, wichtigere Gründe für den Umzug gegeben. Diese waren es nun auch, die den Kaplan Taddäus, Mitglied der Hofkapelle des Kaisers Ludwig, dazu bewogen hatten, dem neuen Kloster einen unangekündigten Besuch abzustatten. Am gestrigen Abend war er aus Paderborn angereist und führte nun in der zwar ebenfalls hölzernen, aber beheizten und geräumigen Kammer des Priors ein Gespräch mit ebendiesem.
    Prior Wulfram war ein nach fränkischen Traditionen und im strengen christlichen Glauben erzogener Mann aus altem sächsischen Adel. Ein kleiner Knabe noch, war er als Oblate ins ferne Corbie geschickt worden, um dort die Laufbahn eines Geistlichen zu beschreiten. Weniger klug als mehr loyal wie er war, hatte er schnell die Aufmerksamkeit des Abtes, des großen Adalhard, erregt. Und auch in den Jahren der Verbannung des Adalhard, welcher zunächst kein Freund des jungen Kaisers Ludwig gewesen war, blieb Wulfram seinem Vater Abt treu.
    Seit wenigen Jahren nun war Adalhard zurückgekehrt. Er und sein Bruder Wala, einst enge Vertraute des großen Kaisers Karl, hatten nach dem Tode des Benedikt von Aniane wieder Einfluss am Hofe gewonnen. Großen Einfluss sogar, denn Kaiser Ludwig war wankelmütigen Charakters, voller Selbstzweifel und entsetzlicher Ängste. In den letzten Jahren hatte er in sich einen großen Sünder entdeckt, alle Schandtaten seines Lebens, sämtliche Racheakte und von ihm begangene Ungerechtigkeiten waren ihm immer und immer wieder im Traume erschienen. Und Adalhard sowie auch Wala unterstützten ihn eifrig in seinem Bestreben, sich seiner Schlechtigkeit bewusst zu werden und Buße zu tun. Je mehr der Kaiser büßte, desto mehr Gelegenheit
hatten die Brüder, den Glauben im riesigen Reiche zu stärken. Und wie ließe sich der christliche Glaube besser festigen als durch die Erweiterung der kirchlichen Macht?
    Die Treue des Wulfram auch in den Zeiten, in denen die Brüder Adalhard und Wala beim neuen Kaiser in Ungnade gestanden hatten, hatte sich schließlich ausgezahlt. Er wurde vom fränkischen Corbie ins ferne Sachsen gesandt, wo er als Prior die Neugründung und Verlagerung des Klosters Corbeia Nova beaufsichtigen und betreuen sollte. Abt des jungen Klosters war Adalhard, der jedoch auch Abt im Mutterkloster blieb und zudem als Berater des Kaisers häufig an dessen Hofe weilte, sodass Wulfram in Corbeia Nova die Aufgaben eines Abtes übernahm, sich jedoch lediglich Prior nennen durfte.
    Und Wulfram, mittleren Alters, hochgewachsen, schlank, aber dennoch mit dickem Bauch und natürlicher Glatze, die eine Tonsur überflüssig machte, kannte seine Aufgaben gut. Aus diesem Grund war

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