Die Schluesseltraegerin - Roman
Er ist momentan entsandt, um fernab des Klosters eine Kirche zu errichten.«
»Eine Kirche? Es beruhigt mich zu hören, dass ihr bereits jetzt, so kurz nach eurer Gründung, beginnt, das Eigenkirchenwesen zu bekämpfen.«
»Nun, Taddäus, wenn es wenigstens Eigenkirchen gäbe. Doch selbst von diesen fehlt in dieser gottlosen Gegend nahezu jede Spur.«
»Aber ein schönes und äußerst fruchtbares Land ist es. Ich bewunderte es bereits auf meiner Reise hierher. Viel davon ist in Königsbesitz.«
»Kaiser Ludwig besaß die Gnade, unserem noch mittellosen Kloster einen großen Teil seiner Besitzungen zu schenken.«
»So ist es, und ihr werdet sie mehren, wie ich annehme.«
»Zum Wohle der Menschen. Denn sie sind nicht nur unerfahren im Glauben, sondern auch wenig geschickt im ertragreichen Anbauen ihrer Felder. Um Hunger und Not zu vermeiden, sollten wir uns ihrer annehmen.«
»Und um der Einheit willen.«
»So ist es, Taddäus, und um der Einheit willen. Jetzt aber will ich Bruder Agius zu uns bitten.«
Erleichtert ging Wulfram zur Tür. Er verspürte weder Lust, über politische noch über wirtschaftliche Angelegenheiten mit diesem Manne zu reden, beides war ihm zu heikel. Sollte sich Agius seiner annehmen, der hochmütige, kluge Agius. Diesem war es gleich, wenn er sich die Finger verbrannte. Ihm jedoch, Prior Wulfram, stand schon jetzt der Schweiß auf der Stirne und rann ihm zudem merklich am Rücken herab.
Stunden schienen vergangen zu sein, die Agius nun wartend in dem ebenfalls hölzernen Kreuzgang des neuen Klosters
Corbeia Nova verbracht hatte. Hätte man ihm gesagt, dass es so lange dauern würde, bis der Kaplan Taddäus sein Zwiegespräch mit dem Prior beendete, so hätte er um Erlaubnis gebeten, die Bibliothek aufsuchen zu dürfen.
Doch so viel Gleichmut besaß er nicht, selbst wenn er ihn sich wünschte. Sobald er von der anstehenden Ankunft des Taddäus vernommen hatte, war er bemüht gewesen, ruhig und besonnen seinen Weg vom entlegenen heiligen Berg hinunter zum Kloster an der Weser zu finden – ja, er hatte versucht, sich über den Besuch des Gastes zu freuen.
Aber das konnte er nicht. Er war nervös. Fast acht Jahre waren seit dem Tode der ersten Kaisergattin Irmingard vergangen, fast acht Jahre lang hatten sich Taddäus und Agius nicht gesehen, aber der Eklat, den es gegeben hatte, stand Agius noch deutlich vor Augen. Ja, sämtliche Haare seines Körpers stellten sich allein bei dem kleinsten Gedanken an das Zurückliegende auf, eine Gänsehaut überlief ihn, wenn er sich die entscheidenden Momente in Erinnerung rief, und je näher er dem Kloster und dem darin weilenden Feind kam, desto unwohler wurde ihm. Und dafür verachtete er sich selbst.
Wie nur konnte es diesem unsäglichen Wicht immer wieder gelingen, ihn, den gefestigten und in sich ruhenden Agius, so sehr zu verwirren?
Wie nur schaffte es diese machthungrige Hofschranze, ihm tatsächlich Angst einzujagen?
Und wovor hatte er Angst?
Wovor, wenn nicht vor dem Gericht Gottes, musste Agius sich fürchten?
Was galt es geheim zu halten, von dem der Herrgott nicht schon längst wusste?
Agius hasste ihn, er hasste ihn aus tiefstem Herzen. Nie in seinem Leben hatte er jemanden so sehr verachtet wie diesen
verschlagenen Taddäus. Und er verachtete ihn deshalb, weil sie so viel gemeinsam hatten. Ja, sie hatten tatsächlich viel gemeinsam, und es schmerzte einen stolzen Mann wie Agius, sich dessen bewusst zu sein, sich mit einem Schrat wie Taddäus vergleichen zu müssen und nichts dagegen ausrichten zu können.
Frostig fiel die Begrüßung aus. Mit seinen winzigen, rotunterlaufenen Augen blickte Taddäus zu Agius empor. Sein ganzes Mienenspiel verriet, wie sehr er diesem Mann, der da vor ihm stand, misstraute, ja ihn ebenfalls hasste.
Der Prior hingegen – er stand nun ein wenig im Hintergrund – schaute gutmütig nickend zu Agius herüber.
»Einen weiten Weg hast du hinter dir, Agius. Bist du die ganze Nacht über gelaufen?«
»Mein Weg war lange nicht so weit wie der deine, Bruder Taddäus, und die ganze Nacht benötigte ich keineswegs.«
»Zur Prim war Bruder Agius bereits bei uns«, unterbrach der Prior, dabei gutmütig nickend.
»Dann hattest du genügend Zeit, deinen Cicero zu lesen«, bemerkte Taddäus scharf.
»Cicero habe ich schon lange ausgelesen.«
»Womit beschäftigst du dich jetzt?«
»Mit den Schriften eines griechisch schreibenden Autors, Dionysius Areopagita ist sein Name.«
»Nie habe ich von
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