Die Schluesseltraegerin - Roman
es ihm suspekt, ja sogar sehr suspekt, dass ausgerechnet der Hofkaplan Taddäus hier im fernen Sachsen auftauchte, um sich über die Entwicklung des neuen und vielversprechenden Klosters zu erkundigen.
Doch leider besaß Wulfram weder die nötigen Anweisungen noch die nötige Intelligenz, um ergründen zu können, was dieser verschlagene Mönch wohl im Schilde führte und wer ihn tatsächlich gesandt hatte. Er begnügte sich damit, ihn höflich, ja äußerst höflich zu empfangen und mit ihm über wenig verfängliche Dinge zu reden.
Taddäus war ein sehr kleiner Mann. Sein Alter konnte man nur schätzen, denn seine Erscheinung wirkte alt und jung zugleich. Wahrscheinlich zählte er keine vierzig Jahre, auch wenn sein restliches, dünnes Haar grau, seine Augen von tiefen roten Ringen umfurcht und seine Haut fahl wie Asche war. Der Blick seiner hellblauen, winzigen Augen jedoch war wach, jung und
stechend. Nichts entging ihm, und sah man in diese Augen, so konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, dass in diesem Mann weniger der Heilige Geist als vielmehr ein böser Dämon zu wohnen schien. Alles in allem war Taddäus ein unangenehmer Zeitgenosse, der diese Ausstrahlung bereits als Kind besessen und es sich zu eigen gemacht hatte, nicht nur mit dieser Wirkung auf andere zu leben, sondern sie auch zu seinem Vorteil zu nutzen.
Taddäus verbreitete, sobald er einen Raum betrat, Kälte und Unbehagen – und das genoss er.
»Schlechte Kunde bringst du, Bruder Taddäus«, sagte Prior Wulfram sichtlich betrübt. Er saß auf einem kunstvoll geschnitzten Holzstuhl, der mehr einem Thron glich, während Taddäus sich entschieden hatte, stehenzubleiben. Er saß nur ungern, denn klein wie er war, verschwand er regelrecht in Stühlen wie jenen, die in diesem verhältnismäßig prächtig ausgestatteten Zimmer standen.
»Es geht ihm sichtlich schlecht. Als ich aus Aachen abreiste, plagte ihn ein hohes Fieber.«
»Ich werde Tag und Nacht für ihn beten lassen. Welch enormen Verlust würde es doch für uns in dieser noch jungen Gemeinschaft bedeuten, wenn wir unseren Vater Abt verlören.«
»Er ist ein alter Mann, guter Wulfram. Gott wird ihn ohnehin bald zu sich holen.« Taddäus’ schmale Lippen formten sich bei diesen Worten zu einem unmerklichen Lächeln.
»Wie steht es um die Gesundheit seines Bruders Wala?«
»Gut. Ich sah ihn ebenfalls in Aachen. Er spricht viel mit dem Kaiser. Fast täglich war er bei ihm. Nun ist er nach Italien gereist.«
»Das freut mich zu hören. Es ist sehr beruhigend, wenn geistliche und weltliche Macht eine solch harmonische Einheit bilden.«
Taddäus atmete tief ein und zog die dünnen Augenbrauen hoch. »Ja, guter Wulfram, so ist es: die Einheit. Mein Freund Agobard sorgt sich sehr um sie, um die Einheit. Vor allem, nachdem die neue Kaisergattin einen Knaben geboren hat und mehr und mehr an Einfluss gewinnt. Die Ordinatio imperii ist in arger Gefahr. Und Ludwig sieht sich gerade weniger als Herrscher, sondern vielmehr als Sünder und Büßer.«
»Es ist gut, wenn er Buße tut. Fast zahllos sind seine Sünden. Denke nur an die Verbannung eines solch heiligen Mannes wie Adalhard. Das allein verlangt eine lebenslange Buße.«
»Darüber kann nur Gott richten, guter Wulfram. Außerdem besitzt Adalhard jetzt mehr Macht über Ludwig, als er jemals über Karl besessen hatte.«
»Was nützt ihm diese, wenn er krank darniederliegt?«
Wulfram war das Gespräch entglitten, zu gefährlich und für ihn zu unergründlich wurde sein Inhalt. Er wusste, dass Adalhard, Wala und Taddäus mit der unbedingten Einheit des Kaiserreiches das gleiche Ziel verfolgten und dass sie alle Gegner der neuen Kaisergattin Judith waren. Er wusste aber auch, dass dies die einzigen Gemeinsamkeiten der drei zu sein schienen, denn besonders Wala war zudem ein Gegner der Hofkapelle – der Institution, welcher Taddäus angehörte. Einen »Aussatz« hatte er diesen Verwaltungsapparat des Kaisers geschimpft, einen Aussatz, der sich »sine capite« dennoch von den Pfründen der Klöster ernährte, ohne sich deren Autorität zu unterstellen. Ein Freund des Abtes und dessen Bruders war Taddäus also keineswegs.
Besser war es für Prior Wulfram, das Thema zu wechseln, sich eventuell sogar Hilfe zu holen, um nicht allein mit diesem unergründlichen Gast zu sein.
»Du weißt, Taddäus, dass dein Freund Agius ebenfalls in diesem Kloster weilt.«
»Bruder Agius. Ja, das ist mir zu Ohren gekommen.«
»Ich habe ihn rufen lassen.
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