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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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doch mit der Heuernte beginnen? Es wird tatsächlich Zeit. Auf meinem Weg nach Huxori sah ich bereits alle Leute auf den Feldern. Das Gras ist hoch genug, besonders an den Südhängen.«
    Ada hielt nun inne und blickte Inga ernst an.
    »Er ist nicht zu den Wiesen geritten, Inga. Schneiden will er – aber erst morgen. Eine falsche Entscheidung, denn ich spüre, dass ein Unwetter naht. Das ganze Gras wird nass und platt sein.«
    Dann drehte sie sich wieder um und fuhr damit fort, aus dem Kaninchen alle seine inneren Organe zu entfernen. Die Kinder spielten derweil mit dem blutigen Fell, stülpten es über einen Holzklotz und streichelten es.
    Inga schaute ihnen eine Weile abwesend bei diesem Spiel zu, dann ging sie zunächst langsamen Schrittes, jedoch zunehmend schneller werdend davon, um Ansgar zu suchen.
     
    Völlig außer Atem, mit schmerzender Lunge und einem bitteren, blutigen Geschmack im Mund fand sie sich schließlich hinter der alten Buche wieder, die schon seit hunderten von Jahren ihren Schatten auf den Hof der Meinradschen Sippe warf.
    Dort war er. Direkt vor der Tür zum Langhaus ihrer Familie stand Ansgar, und vor ihm standen der alte Meinrad und Gerda, Ingas Eltern. Sie stritten laut, aber offensichtlich war noch nichts weiter geschehen. Niemand war verletzt, und niemand erweckte den Anschein, gleich handgreiflich zu werden. Inga war erleichtert und beschloss, sich verborgen zu halten und zu lauschen.

    »Ein Hasenfuß ist er, euer Sohn«, hörte sie Ansgars laute Stimme. Im Vergleich zu Ingas Vater war Ansgar ein mächtiger Riese. Er würde ihn einfach zermalmen, mit einem Schlag umhauen, und Inga hoffte inständig, dass ihr Vater besonnen bliebe und sich nicht zu unbedachten Worten hinreißen ließe.
    »Er ist fort, weil er fort musste. Mit dir hat das nichts zu tun, Ansgar, Sohn des Hilger.« Meinrads Stimme war ruhig, aber Inga hörte den bitteren Groll heraus, der seit Kindertagen in ihm wohnte.
    Ansgar lachte nur laut.
    »Ein Feigling ist er. Doch das wundert mich nicht. Ich erwarte ihn. Sobald er zurück ist, der Hosenschisser, soll er zu meinem Hof kommen. Kommt er nicht, werde ich euch einen Besuch abstatten, und dann, das versichere ich dir, Meinrad, Sohn des Bero, wird es nicht so friedlich vonstatten gehen wie heute.«
    »Lass es gut sein, Ansgar«, flehte Gerda und griff nach Ansgars Hand, doch der stieß die Frau nur grob von sich. Inga schrie leise auf, es zerriss ihr fast das Herz, ihre Mutter so zu sehen.
    »Ihr habt uns vieles genommen, ihr Hilgerschen, in den letzten Jahren. Und büßen musstet ihr bisher nicht dafür. Es wäre an uns, Rache zu üben, nicht an euch. Du bist mit einem blauen Auge davongekommen, Ansgar. Lass es dabei bewenden.« Meinrad wurde lauter.
    »Willst du mir drohen? Dann bist du an den Falschen geraten. Meine Familie lässt nichts auf sich beruhen, keinen Kratzer, keine noch so harmlose Beleidigung. Das müsstet gerade ihr nur allzu gut wissen. Gegen dich, Meinrad, hege ich keinen Groll. Dein Sohn jedoch wird nicht ungeschoren davonkommen. Wenn ihm sein Leben lieb ist, holt er sich seine Strafe bald. Denn jeder Tag, der weiter ins Land zieht, lässt meine Wut größer werden, und das ist nicht gut für euren Bero.«

    Damit drehte er sich um, schwang sich, noch recht angeschlagen, auf sein Pferd und ritt davon. Geradewegs auf Inga zu, die noch immer hinter dem Baum stand. Er sah sie nicht, und sie gab sich nicht zu erkennen. Einen letzten Blick auf ihre Eltern werfend, die gesenkten Kopfes ins Haus gingen, blieb Inga noch eine Weile stehen, mit dem Rücken an die Buche gelehnt. Sie war tieftraurig und erleichtert zugleich. Es hätte schlimmer ausgehen können.
    Inga verharrte an ihrem Platz, bis das Hufgetrappel verklungen war, dann machte auch sie sich auf den Rückweg zum Hilgerhof. Doch mit einem Mal vernahm sie einen fürchterlichen Schlag. Wie von Geisterhand bogen sich die Kronen der Bäume zur Seite, und auch Inga wurde von dem urplötzlich aufkommenden Sturm, trotz des schützenden Waldes, unsanft zu Boden gewirbelt.
    Das von Ada vorhergesehene Unwetter war da – ein Unwetter, so gewaltig und unverhofft, dass Inga es mit der Angst zu tun bekam.
    Sturzbäche strömten aus dem schwarzen Himmel hernieder, Donner grollten, Blitze zuckten, und Inga beeilte sich, aus dem Wald herauszukommen.
    Doch auf freiem Feld war es noch ungeheuerlicher. Vollkommen durchnässt lief Inga den Berg hinunter, rutschte immer wieder aus und fiel in den Bach, der sich auf dem

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