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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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verdient, was er bekommen hat. Er war ein Verräter, ein gemeiner, hinterhältiger Verräter. Durch ihn haben zahlreiche ehrliche und tapfere Männer einen schmählichen Tod gefunden. Wie eine Schmeißfliege hat er sich an die frankentreuen Edlen gehängt, hat ihnen geholfen, dass die, die einen großen, ehrenhaften Sieg errungen hatten, dennoch eingefangen wurden wie entlaufenes Vieh. Er hätte auch meinen Vater und den Schmied Hatho zur Schlachtbank geführt, wenn sie nicht entkommen wären. Freundschaft galt ihm nichts, Treue ebenso wenig, er kannte nur den eigenen Vorteil, und statt des Schwertes wählte er die Heimtücke. So einer hat es verdient, wie ein tollwütiger Fuchs erschlagen zu werden.«
    Inga blieb ruhig. Zu oft hatte sie diese Worte bereits aus Rothgers Mund vernommen, und zu oft hatte sie diesem darauf geantwortet, was sie nun auch Ansgar antwortete:
    »Das ist eure Geschichte. Die Geschichte, wie sie in unserer Familie erzählt wurde, lautet ganz anders. Mein Großvater war kein Verräter, er war ein treuer Freund. Im Schlachtengetümmel hat er Hatho und Hilger aus den Augen verloren, sie später gesucht, aber niemals verraten. Welche Vorteile hätten wir von diesem Verrat gehabt? Meine Familie ist nicht besonders königstreu,
und auch mit der Kirche halten sie es mehr schlecht als recht. Wir sind nicht reicher geworden durch den Krieg. Es gab keinen Verrat. Alles, was geschehen ist, geschah, weil dein Vater seinen ungestümen Willen nicht bändigen konnte. Es war ein teuer bezahltes Missverständnis.«
    »Und warum habt ihr euch nie gerächt, wenn alles nur Schuld meines Vaters war?«
    »Wer, Ansgar, würde es wagen, sich an euch zu rächen? Hundert-, ja tausendfach zahltet ihr es heim. Eure Sippe ist mächtig, und darum habt ihr es auch nicht nötig, euch über Bubenstreiche zu ärgern. Das ist unter eurer Würde, Ansgar, denn niemand zweifelt an der Stellung eures Hauses. Nicht einmal die Leute des Kaisers getrauen sich, euren Besitz anzutasten. Setz diese Macht nicht aufs Spiel, indem du dich über Nichtigkeiten aufregst. Das führt eher zu Gelächter als zur Befriedigung deines verletzten Ehrgefühls.«
    »Schlangenzungen seid ihr, alle miteinander. Das ist die einzige Stärke derer aus dem Meinradschen Haus. Doch ich lasse mich von dir nicht bereden, Weib.«
    Ansgar sah sie geringschätzig an, aber sein Blick verriet auch eine Spur von Unsicherheit. Ingas Strategie, dem Bären Honig ums Maul zu schmieren, schien Wirkung zu zeigen.
    Derweil wütete das Unwetter ununterbrochen fort, Bäume knickten, Blitze zuckten, Donner grollten, und mit einem Mal sprang die lose Tür der Schmiede sperrangelweit auf. Inga schrie entsetzt auf, und Ansgar stürzte nach vorn, um sie wieder zu schließen. Es kostete ihn einige Kraft, die nur noch halb in den Angeln hängende Tür zu verriegeln, so stark stieß der Sturm dagegen.
    »Es ist der Geist, der Geist des Hatho. Er will nicht, dass wir hier sind.« Inga zitterte vor Angst. Und auch Ansgar war mulmig zumute.

    »Wir können nicht nach draußen. Sollte es sein Geist sein, dann muss er uns noch eine Weile erdulden. Doch viel eher war es der Wind«, murmelte er.
    Inga kauerte sich in eine Ecke, in der noch stabile Reste einer Holzbank standen.
    »Spricht Ada über das Schicksal ihrer Familie?«, fragte sie Ansgar.
    Dieser schaute Inga fragend an, dann sagte er: »Nein, niemals.«
    »Viele behaupten nun, man habe ihnen Unrecht getan.«
    Ansgar schüttelte vehement den Kopf. »Nein, das hat man nicht. Dennoch waren sie Freunde meiner Familie, und deshalb nahmen wir sie in Schutz.«
    »Du meinst, sie haben tatsächlich all die Gräber geöffnet?«
    »Ja, das ist gewiss.«
    »Aber wieso sollten sie das tun?«
    »Wegen des Goldes.« Ansgars Ton wurde fast ein wenig angriffslustig. »Hatho und seine Söhne waren Schmiede. Das Anfertigen von Ackergerät reichte ihnen nicht. In anderen Schmiedekünsten wollten sie sich üben, doch dazu fehlte das Material. Ihr Frevel war keine Hexentat, es war pure Räuberei.«
    »Die arme Ada. Und vor allem, die arme Mutter. An einem dieser Balken soll sie sich aufgehängt haben. Aus Schmach. Es heißt, bei Sturm höre man das Holz ächzen und das Seil knirschen.«
    »Hörst du etwa das Holz ächzen und das Seil knirschen, Inga? Bei einem Sturm wie diesem müsste das einen mörderischen Lärm geben.«
    »Nein, aber dennoch schaudert es mich. Sie waren Geächtete, und die Seelen der Geächteten finden keine Ruhe, niemals. Und wir,

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