Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
Vom Netzwerk:
freundlicher, junger Mann. Ich hörte nie, dass man einen Groll gegen ihn hegte. Nicht gegen ihn, jedoch gegen seine Brüder.«
    Agius blieb in seine eigenen Gedanken versunken.
    »Sollen wir sie daran hindern?«
    Das waren die Worte des Hofkaplans Taddäus gewesen, als Agius von den Fehden zwischen den einzelnen Frilingsfamilien in diesem Teil des Sachsenlandes berichtet hatte.
    Warum sich einmischen in den Kampf zweier gottloser Teufel? Warum vergeblich versuchen, diese starrköpfigen Raubeine
nicht nur von ihrem heidnischen Aberglauben, sondern auch von ihrem veralteten Begriff von Freiheit und Ehre abzubringen?
    Der sächsische Adel stellte schon lange kein Problem mehr dar, er war klug genug und hatte längst begriffen; auch die Unfreien und Halbfreien erkannten in dem neuen Glauben mit allem, was er mit sich brachte, eher Segen als Fluch. Doch diese elenden Frilinge, dieser Stand, den es im Frankenreich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gab, diese Menschen, die nicht Bauer und nicht Edelmänner waren – Zwitterwesen, nicht einzuordnen in die anzustrebende gesellschaftliche Einheit des neuen, stets wachsenden Reiches -, sie galt es zu überwinden.
    Am besten, indem man sie von der Wahrheit des christlichen Glaubens überzeugte.
    Am einfachsten, indem man sie sich selbst überließ.
    Das hatte Taddäus mit seiner Frage ausdrücken wollen, und Agius hatte durchaus verstanden.
    Die Sippe des Hilger und des Meinrad waren ein wahres Muster solcher sächsischer, freier Dickschädel. Reich an Land, aber auch reich an verbohrten Traditionen wie Ehre, Freiheit und der Tatsache, dass ein sächsischer Friling sich in Friedenszeiten von niemandem etwas sagen lassen musste. Gefährlich waren sie nicht, dazu waren sie zu wenige, aber lästig waren sie. Das wusste Agius, denn sein politischer Verstand war zu ausgeprägt, um hinter den Absichten der Mächtigen ausschließlich die reine Sorge um die Seelen der neuen Schützlinge zu vermuten.
    Dennoch hatte er gehofft, dass er verschont bliebe, dass er keine Entscheidungen treffen musste, dass Rothger gegen einen Ast geprallt war und Uta sich das Leben genommen hatte.
    Doch so war es offenbar nicht, und sie hatte es schon länger vermutet. Sie war zu ihm gekommen, hatte gebeichtet, hatte wirres Zeug von Geistern und Zaubertränken gefaselt. Doch hinter ihren Worten war mehr verborgen. Das ahnte er nun.

    Inga war eine Tochter des Meinrad, erklärter Feind der Hilgerschen, auf deren Hof sie nun lebte. Und diese Hilgerschen schwanden nun einer nach dem anderen dahin. Und sie wusste, warum, da war sich Agius nun sicher.
    Sie wusste es, und sie versuchte es den Geistern anzuhängen, eine Ausflucht zu finden, die Sünde von sich auf Kreaturen zu lenken, die allein ihrem Geiste entsprungen sind. Ihre Beichte war ein Hilferuf gewesen, und er hatte ihn gründlich missverstanden. Hätte er ihre Worte richtig zu deuten gewusst, könnte Gernot noch leben. Dies wurde Agius, der noch immer stumm neben Melchior durch die warme Mainacht schritt, langsam zur traurigen Gewissheit.
    Es lag nun an ihm, zu entscheiden, was mit dem toten Gernot anzustellen sei.
    Die Wahrheit?
    Was würde die Wahrheit nach sich ziehen?
    Noch mehr Tote. Die Kette der Blutrache würde sich weiterdrehen, und da konnte das Pochen auf den christlichen Glauben, auf Mildtätigkeit, Gnade und Einsicht wenig, nein, gar nichts bewirken. Hier herrschte nach wie vor das Recht des Stärkeren, hier galten Zorn und Wut nicht als sündhaft, sondern als Ausdruck von Willenskraft, und wer Rache übte, handelte nicht kopflos, sondern nach dem Gesetz der Notwendigkeit. All dies steckte noch tief in den Menschen, viel zu tief. Der Geist des neuen Glaubens hatte allemal an ihnen gekratzt, doch in Fleisch und Blut übergegangen war er ihnen noch keineswegs, und Agius zweifelte daran, dass dies jemals so sein würde.
    Zumal – und dieser Gedanke ließ ihn bitter auflachen – es gar nicht gewollt war. Totschlagen sollten sie sich, und er solle zuschauen – so lautete der unausgesprochene Auftrag. Und wenn es nach diesem Auftrag ginge, müsste er nun laut lamentierend in die Siedlung zurückrennen, wehklagen, alle Leute aus dem
Schlaf reißen und ihnen mitteilen, dass Gernot, Sohn des Hilger, ebenfalls heimtückisch ermordet worden war.
    Doch das würde er gewiss nicht tun.
    Ernsthaft spielte er mit dem Gedanken, die Leiche zu verbergen, den toten Gernot christlich zu bestatten, seiner Familie jedoch nichts davon zu sagen. Doch das könnte

Weitere Kostenlose Bücher