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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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er niemals mit seinem Gewissen vereinbaren. Nein, es ging nicht. Er saß in der Falle.
    Agius haderte mit sich. Und während er versuchte, all seine wirren Gedanken zu sortieren, waren sie bereits in den finsteren Kapenwald eingedrungen, hatten schon ein gutes Stück des Weges hinter sich gebracht und standen plötzlich vor der Erle, an die der arme Gernot gebunden war.
    Melchior hatte nicht übertrieben, nichts hinzugefügt, die reine Wahrheit berichtet. Gernot saß dort genau so, wie Agius es sich vorgestellt hatte. Mit der Fackel leuchteten die Mönche in sein Gesicht. Es war tatsächlich schwarz angelaufen, die Luft war ihm abgedrückt worden. Ein Strick war um den Hals gebunden, mit diesem hatte man ihn erdrosselt, ein zweiter schlang sich unter seiner Brust um Körper und Baumstamm. Mit diesem hatte man ihn an die Erle gefesselt. Hände und Füße jedoch – und das verwunderte Agius – waren frei.
    Agius beleuchtete den Waldboden. Das dichte Gestrüpp war plattgetreten, ja plattgewälzt. Hatte man Gernot hierhergezogen? Wieder beleuchtete er den Toten. Er wies tatsächlich Wunden auf, die von Dornen und spitzen Ästen stammen mochten. Außerdem hatte er eine Beule am Hinterkopf. Eine große, eiförmige Beule.
    »Es waren mit Sicherheit keine Räuber, die ihn ermordet haben«, sagte er leise zu Melchior.
    »Warum nicht?«
    »Sie hätten keinen Grund, ihn mit einem Steinwurf zu betäuben,
ihn dann tief in den Wald zu schleppen, an einen Baum zu binden und erst dort zu erdrosseln. Räuber hätten ihm vor Ort die Kehle durchschnitten.«
    »Vielleicht haben sie ihn gefesselt und abgewartet, bis er wieder zu sich kommt, um ihn zu befragen. In etwa so: Wo hast du Schurke deinen Geldbeutel versteckt? Wo, zum wütenden Donar, hat deine Familie ihren Schatz vergraben? Oder wo, verdammt noch einmal …«
    »Schon gut, Bruder Melchior, schon gut. Ich verstehe. Das ist ein guter Einwand, aber dann hätten sie ihm gewiss auch Hände und Füße gebunden. Gernot wurde erdrosselt, als er bewusstlos war. Man hat sich nur die Mühe gemacht, ihn mit einem leichten Knoten um den Bauch am Baum zu fixieren, falls er aufwacht und sich wehren würde. Die Absicht war allein, ihn zu töten, nicht, ihn zu befragen. Die Erle, guter Bruder Melchior, ist für die Heiden ein Symbol des Todes. Keines rühmlichen Todes, sondern eines unglücklichen, plötzlichen, gewaltsamen. Sie bringt Unglück, meist wächst sie an trügerischen Gewässern. Hier kann ich keines erkennen, aber auch ein weiterer Erlenbaum fällt mir nicht ins Auge, zumindest nicht, so weit der Lichtschein meiner Fackel reicht. Man hat ihn bewusst an diesen Baum gebunden.«
    »Was du alles weißt, Bruder«, staunte Melchior.
    »Man muss den Feind, den man bekämpfen will, studieren, selbst wenn einem missfällt, was man dabei lernt.«
    »Ich für meinen Teil finde es sehr spannend.«
    »Traurig ist es, sehr traurig, denn dieser Aberglauben bringt den Tod, wie du siehst.«
    Und Agius beleuchtete den Baum von oben bis unten. Unmittelbar über dem Kopf des Gernot machte er eine Entdeckung.
    »Sieh an, Melchior, eine Rune. Sie benutzen diese Zeichen oft, glauben, dass ihnen Zauberkräfte innewohnen – zum Guten
und zum Bösen. Leider reicht mein Wissen nicht aus, um dir zu sagen, wofür diese Rune steht. Solch eine habe ich noch nie zuvor gesehen. Wahrscheinlich ein geheimes Zeichen. Was es bloß bedeuten mag?«
    »Nichts Gutes, möchte ich meinen«, antwortete Melchior und kam näher, um die frisch in die Rinde eingekerbten Striche und Querstriche zu begutachten.
    »Ist dir nicht unheimlich an diesem Ort?«, fragte er sodann Agius und schaute sich, plötzlich ängstlich werdend, mit großen Augen um.
    »Nein«, antwortete Agius fest, aber im selben Moment drehte er sich ruckartig um und hielt seine Fackel mit ausgestrecktem Arm nach vorn, in die Dunkelheit des tiefen Waldes hinein.
    Da war jemand.
    Melchior schrie leise auf und bekreuzigte sich. Aber Agius rief: »Komm her und berichte uns, was du des Nachts in diesem Walde treibst. Komm her, ich habe dich gesehen.«
    Niemand antwortete, und niemand kam.
    »Sie haben Recht, die Menschen. Es gibt sie, die Geister«, bibberte Melchior.
    »Unfug«, fuhr Agius ihn an.
    »Bruder Agius, was sollte dieser weiße Mann gewesen sein, wenn nicht ein Geist? Frau Inga vom Hilgerhof hat ihn auch schon gesehen und mich vor ihm gewarnt.«
    Agius blickte Melchior scharf an. »Frau Inga vom Hilgerhof? Sei kein Narr, Bruder Melchior.«
    Dann

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