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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Jäger aufhalten.«
    »Wem gehört der Wald?«
    »Allmende sei es, sagen die Leute in der Siedlung.«
    »Und sie nutzen sie nicht?«
    »Nein, seit Generationen nicht. Eine unerschrockene Familie habe vor mehr als sechs Jahrzehnten versucht, einen Teil zu roden und sich hier anzusiedeln. Angeblich seien die Männer, vier an der Zahl, niemals von ihren Fällarbeiten zurückgekehrt. Ihre Geister sollen noch immer herumspuken. Außerdem gibt es hier grauselige Wichtel, die Säuglinge aus den
Wiegen stehlen, aber unglaublich gutes Bier brauen. Und eben den weißen Mann.«
    »Haben ihn schon viele gesehen?«, wollte Agius wissen.
    »Inga vom Hilgerhof, du und meine Wenigkeit haben ihn gesehen.«
    »Sonst hast du noch niemanden über ihn sprechen hören?«
    »Nein. Von ihm nicht. Nur von den Holzfällergeistern und den besagten Wichteln.«
    »Eigenartig, denn ihn haben wir tatsächlich gesehen.«
    »Das ist wahr. Und du glaubst nicht, dass er ein Geist ist?«
    Agius schüttelte den Kopf.
    »Ich glaube, er ist aus Fleisch und Blut, und er weiß, wer Gernot getötet hat. Deshalb will ich zu der Höhle, denn dort ist gewiss seine Wohnstatt.«
    »Das könnte sein«, antwortete Melchior und zeigte nach vorn. »Dort hinten ist sie bereits. Gut versteckt, man erkennt sie kaum mit bloßem Auge. Es war reines Glück, dass ich sie gefunden habe.«
     
    Inmitten des Dickichts war der Eingang zur Höhle tatsächlich kaum auszumachen. Eine winzige Holzluke öffnete den Weg in einen aus Zweigen und Laub gebauten Tunnel. Agius und Melchior schauten vorsichtig hinein.
    »Ist hier jemand?«, rief Agius in die Dunkelheit. »Wir sind Männer Gottes und gekommen, um dem Bewohner dieser Hütte einen höflichen Besuch abzustatten.«
    Totenstille.
    »Da ist niemand«, flüsterte Melchior hinter ihm. »Auch beim letzten Mal war niemand da.«
    »Wenn ich nur etwas sehen könnte«, schimpfte Agius. Und dann schlüpfte er durch die Luke ins finstere Loch. Melchior folgte ihm.

    An beiden Seiten des Laubtunnels führte eine schmale Holzbank entlang, auf der Töpfe und Körbe standen. In der Dunkelheit konnten die Mönche nicht erkennen, was sich in diesen Behältnissen befand. Es roch jedoch im gesamten Raum nach frisch Geschlachtetem. Am Ende des schmalen Ganges erreichten die beiden schließlich die Höhle. Ein kleiner, auf natürliche Weise in den Fels eingelassener Raum, mehr als mannshoch, sehr breit, aber nicht besonders tief. Ein schwaches Feuer brannte auf dem Boden der Höhle. Niemand war da.
    »Ein Pferd hat er geschlachtet«, sagte Agius, das blutige, an die Höhlenwand gespannte Fell betrachtend.
    »Hier ist der Kopf.« Melchior deutete auf einen geflochtenen Korb in einer Ecke. Darin lag tatsächlich der abgetrennte Kopf eines weißen Pferdes.
    »Dort oben über dem Feuer hängen die Schenkel, und der Rest befindet sich wahrscheinlich eingepökelt in den Töpfen, die wir im Gang gesehen haben«, fügte Agius hinzu. »Hier lebt also jemand. Wahrscheinlich hat er uns kommen hören und ist rechtzeitig geflüchtet.«
    In der linken Ecke konnte man ein Lager erkennen, bestehend aus einem Schaffell und mehreren zerschlissenen Wolldecken. Daneben standen einige Werkzeuge an der Felswand: eine Axt, ein Hammer, ein Sax sowie drei Speere.
    »Ein weißes Pferd im dunklen Wald«, brummte Agius vor sich hin.
    »Ein heidnisches Ritual?«, fragte Melchior.
    »Möglich. Aber vielleicht will er es auch einfach nur essen. Ich glaube, das ist eines der Pferde vom Hilgerschen Hof. Das Reitpferd, mit dem Gernot unterwegs war, als er starb.«
    »Dann … dann … oh Bruder Agius, dann stehen wir in der Höhle eines Mörders!« Melchior begann zu zittern.
    »Nicht unbedingt. Aber erklären kann ich mir all das nicht.
Ich fürchte nur, Bruder Melchior, wenn wir länger hier bleiben, so bestünde die Gefahr, dass wir als Märtyrer in die Geschichte der heiligen Kirche eingehen.«
     
    Als sie endlich bei ihrer Kirche ankamen, erkannten sie sogleich, dass jemand am frischen Grab des Gernot gewesen war.
    Ähnlich wie auf der ewigen Ruhestatt des Rothger waren auch hier kleine Dornensträucher gepflanzt worden, und Agius wollte gar nicht darüber nachdenken, welche übrigen heidnischen Amulette und Beigaben nachträglich während ihrer Abwesenheit in der Erde, unter der Gernot ruhte, verbuddelt worden waren.
    »Wer war das?«, fragte Melchior erstaunt. »Es weiß doch niemand.«
    »Doch. Die Witwe des Rothger weiß davon. Ich habe sie zu alldem befragt. Sie wird

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