Die Schluesseltraegerin - Roman
Ebenfalls in der Nähe der Kohlenfurt. Am Waldrand habe er gestanden, und als sie ihn erblickte, habe er schallend gelacht.
So schrecklich, dass ihr, obwohl es Sommer war, die gesammelten Beeren in den Händen zu Eis gefroren sind und zersplitterten.«
»Ja, die Geschichte kenne ich auch. Und dann ist sie gestorben, die Frieda, nur wenige Tage später. Einfach so, wie vom Schlag getroffen.«
»Da geht was um, das wussten doch schon unsere Urahnen.«
»Und die Inga hat sich ihnen verschrieben? Seid ihr euch sicher?«
»Denken kann ich es mir schon. Soll ein faules Weib sein. Nicht viel tun auf dem Hof. Treibt sich nur in den Wäldern herum.«
»Ja, das erzählen die vom Hilgerhof. Froh sind sie, wenn sie nicht da ist. Stiftet nur Unruhe, wenn sie wieder heimkommt. Dem Ansgar hat sie doch völlig den Kopf verdreht.«
»Verzaubert hat sie ihn, da bin ich mir sicher.«
»Und den Rothger, wenn ihr mich fragt, hat sie den auch auf dem Gewissen. Sie war es, die ihn gefunden hat, oder etwa nicht?«
»Und dann springt die Uta in den Brunnen.«
»Wenn die mal nicht gestoßen wurde.«
»Ruhe jetzt«, rief Liudolf. »Hört auf mit dem Geschwätz. Ewald und Rupert, ihr kommt mit mir. Wir wollen uns das Ganze näher anschauen. Nicht, dass das Feuer sich bis in die Siedlung ausbreitet.«
»Das wird es nicht, der Bach ist dazwischen. Es ist nur ein kleiner Brand, Liudolf, das Laub und der Boden sind viel zu feucht. Sechs oder sieben Bäume sind es, die da brennen, mehr nicht«, entgegnete der angesprochene Rupert.
»Wenn du dich nicht getraust, mich zu begleiten, dann bleib hier. Ewald, trägst du deine Waffen bei dir?«
»Ich trage sie immer bei mir.«
»Dann komm.«
»Ich gehe auch mit«, rief Rupert kleinlaut, und so zogen die drei Männer los, hinauf zum breiten Weg am Tannengrund.
Agius war bereits im Morgengrauen aufgebrochen, um zu dem geheimnisvollen Unterschlupf im Kapenwald zurückzukehren. Melchior erzählte er nichts von seinem Vorhaben, und er vermied es auch, den kürzeren Weg durchs besiedelte Tal zu nehmen. Erst als die Sonne schon hoch am Himmel stand und er sich heillos im unwegsamen Waldgelände verlaufen hatte, erreichte er sein Ziel.
Wahrscheinlich hätte er die Höhle niemals gefunden, doch plötzlich war ihm der Geruch von brennendem, feuchtem Holz in die Nase gestiegen. Nicht weit von ihm musste ein Feuer ausgebrochen sein. Kein Lagerfeuer, sondern ein einigermaßen großer Brand, denn die Rauchschwaden kamen ihm wie graue Nebelwolken entgegen.
»Ich bin zu spät«, schimpfte Agius und stapfte weiter voran. Tatsächlich: Sieben große Bäume, Eichen und Buchen, die in unmittelbarer Nähe der Höhle standen, brannten lichterloh. Man hatte einen regelrechten Scheiterhaufen um ihre Stämme herum errichtet, um den Brand zu beschleunigen. Die Laubhütte vor der Höhle war bereits vollkommen in Flammen aufgegangen.
Agius wunderte sich, wie das möglich war, so modrig und nass wie sie war. Die in den steinernen Felsen eingelassene Höhle lag nun frei. Er konnte nicht zu ihr vordringen, erkannte aber aus der Ferne, trotz des schwarzen Rauches, dass sie leer war.
Er war also geflohen.
Agius hätte es wissen müssen. Er ärgerte sich. Wie dumm, ihm noch eine weitere Nacht zu lassen. Es hatte keinen Sinn,
ihn in diesem wirren Urwald aufzuspüren – man konnte nur hoffen, dass er sich ertappt gefühlt und für immer das Weite gesucht hatte.
Wer war nur dieser Mann?
Was trieb ihn in diese menschenfeindliche Umgebung?
Ein Eremit war er sicherlich nicht. Nichts in dieser bestialischen Höhle hatte darauf hingewiesen, dass hier ein gottesfürchtiger Einsiedler lebte.
Ein Räuber? Vielleicht.
Noch immer konnte sich Agius keinen Reim aus alldem machen. Und je mehr er darüber nachdachte, desto verwirrender wurde die Geschichte für ihn.
Er hatte Gernots Pferd geschlachtet, das war sicher.
Hatte er auch Gernot getötet?
Räuber mordeten aus Habgier, nicht aus Rache. Wahrscheinlich hatte dieser arme Irre nichts mit dem Tode des jungen Hilgersohnes zu tun. Er hatte dessen Pferd gefunden, vielleicht war es verwundet. Dann hatte er es geschlachtet, aus Hunger. Und als die Mönche in seine Behausung eindrangen, hatte er es mit der Angst zu tun bekommen und sich davongemacht.
Gernot war ein Opfer der Fehde zwischen den Hilgerschen und den Meinradschen, das stand für Agius fest.
Der Waldmann hatte damit sicher nichts zu tun. Vielmehr vermutete Agius, dass Gernot dem flüchtigen Bero begegnet war,
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