Die Schluesseltraegerin - Roman
kamen die Mönche herbei. Ihr glaubt es nicht, aber ihnen gelang es, den Hünen zu überwältigen, das Feuer zu löschen
und die beiden Meinradschen zu befreien. Doch Ansgar ist verloren, er soll dem Grafen vorgeführt werden. Man wird Gericht über ihn halten.«
»Er ist frei, niemand darf ihn richten«, meinte Ada ruhig.
»Dem ist nicht so. Die Zeiten haben sich geändert. Zu schwer wiegt seine Tat, und die Mönche haben alles gesehen.«
»Wo ist er jetzt?«, fragte Ada.
»Sie haben ihn mit sich genommen, zu ihrer Kirche.«
»Inga, komm mit mir. Wir werden mit ihnen sprechen. Du musst ein gutes Wort für ihn einlegen. Immerhin hat er deine Leute am Leben gelassen, wenn es stimmt, was die Alte berichtet.«
Inga blieb starr sitzen, als habe sie die Worte der Schwägerin gar nicht vernommen. Dann sagte sie, dumpf vor sich hinblickend:
»Er wollte sie alle töten, und er wird es vollenden, wenn er freikommt.«
»Komm jetzt. Das bist du uns schuldig.«
Ada fasste Inga an der Hand, zog sie von der Bank hoch und schleifte die Willenlose hinter sich her.
Ansgar saß zusammen mit Agius und Melchior auf einem Baumstamm inmitten des alten Lindenhains, den die Mönche genutzt hatten, um in seinem Schatten ihr Gotteshaus zu errichten. Er war nicht gefesselt und wirkte sehr ruhig.
Die beiden Frauen gingen auf die drei Männer zu. Niemand war überrascht, sie zu sehen.
»Gebt mir meinen Mann zurück, Bruder Agius und Bruder Melchior«, flehte Ada. »Wir werden für den Schaden, den er in seiner unbändigen Wut angerichtet hat, aufkommen. Das ist seit Urzeiten Sitte in diesem Land. Kein Gericht darf über ihn urteilen, nicht, wenn es nur um die Tötung von Unfreien geht.«
»Menschenleben ist Menschenleben. Gott unterscheidet nicht zwischen frei und unfrei«, antwortete Agius. Seine Stimme klang mild.
»Inga wird zu ihrer Familie gehen und mit ihnen sprechen. Sie wird ihnen sagen, dass wir ihnen gleich drei neue Knechte bringen und für deren Verpflegung ein ganzes Jahr aufkommen. Alles Vieh wird ersetzt. Aus unserem Bestand, denn wir haben das beste Vieh im ganzen Umkreis. Die Schäden am Haus lassen wir gleich morgen richten, und Ansgar gibt das Versprechen ab, dem jungen Bero kein Haar zu krümmen. Dieser darf umgehend heim auf den Hof seiner Väter kommen.«
Ansgar blickte seine Frau ungläubig an. Was redete sie da? Hatte sie den Verstand verloren? Dennoch fiel er ihr nicht ins Wort.
»Ihr könnt Ansgar nicht ausliefern, ohne auch den Mörder seines Bruders Rothger auszuliefern. Denn dessen Tat wiegt schwerer«, fuhr Ada fort. »Meinrad wird auf unser Angebot eingehen, um seinen Sohn zu schützen. Das ist gewiss.«
»Du sprichst weise und gemäß den Traditionen eures Stammesrechtes. Dennoch leben wir nach den Geboten des Herrn, unseres Gottes, und nach diesen gilt Mord als eine der größten Sünden. Ansgar wird Buße tun. Ein Jahr muss er fort von hier und als büßender Pilger durch die Lande ziehen. Sein Ziel werde ich noch bestimmen.«
Melchior blickte Agius bei diesen Worten erstaunt von der Seite an.
Was führte er im Schilde?
Wollte er sich selbst zum Richter über diese schreckliche Untat ernennen?
Stand das ihm, dem Mönch aus dem Kloster Corbeia Nova, zu?
Galt es nicht vielmehr, den Mörder dem hiesigen Grafen vorzuführen und nach dem üblichen Recht zu bestrafen?
Er, Melchior, kannte sich nicht aus mit den sächsischen Stammesrechten. Aber zu schwerwiegend war dieses Vergehen, als dass Agius nicht einmal die Bußbücher zu Rate zog.
Alles war ihm, dem armen Melchior, ein großes Rätsel.
Dann ergriff Ada wieder das Wort:
»Er ist unser einziger Ernährer, Bruder Agius. Lasst Gnade vor Recht ergehen, denn sonst sind wir verloren. Alle drei Brüder in nur einem Jahr, denkt nur, wie gestraft wir bereits mit dem Verlust von Rothger und Gernot sind.«
Ada ging vor dem Mönch auf die Knie. Agius stand sofort auf und zog sie an den Händen wieder nach oben.
»Du bist eine sehr kluge Frau, Ada, Tochter des Hatho«, sagte er. »Geht nun alle zurück in euer Haus. Ich werde Meinrad aufsuchen und mit ihm sprechen. Von euch allen erwarte ich jedoch, dass ihr wöchentlich in dieser Kirche zum Gottesdienst erscheint. Und du, Ansgar, wirst Buße tun. Täglich, vor Aufgang der Sonne, wirst du hierher kommen, sommers wie winters, und wir werden zusammen beten und Gott um Vergebung für deine schrecklichen Sünden bitten. Keine Untat soll mir über dich zu Ohren kommen. Du wirst fortan ein
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