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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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wusste sie, dass Fylgjen keine bösen Geister waren – nein, sie waren lediglich die Überbringer einer schlimmen Nachricht. Erblickte man sie, konnte man sicher sein, dass etwas Furchtbares geschehen würde,
und sich darauf vorbereiten – zu verhindern jedoch war es nur in seltenen Fällen.
    Bero?
    Würde ihrem Bruder etwas zustoßen?
    Wo war er?
    Saß auch er erdrosselt im Wald, so wie Gernot?
    Inga sorgte sich. Nur mit Mühe gelang es ihr, nicht aufzuspringen und hinaus in die Nacht zu laufen. Erst gegen Morgen fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
     
    Der Entsetzensschrei einer der Mägde weckte sie auf, und mit ihr die gesamte Familie. Mit vor Schreck erhobenen Armen stürzte das Mädchen ins Haus. Sie war hinausgegangen, um Wasser zu holen, als sie das Unding entdeckt hatte.
    Schlaftrunken und dennoch Grausiges ahnend, folgten ihr alle auf den Hof.
    Da stand es, direkt vor der Eingangstür.
    Inga erkannte es sofort – es war der Kopf von Bless, der weißen Stute. Abgetrennt, mit heraushängender Zunge, verdrehten Augen und von Maden zerfressen, steckte der Pferdekopf auf einem Pfahl. Und auf die Stirn war in das verwesende Fleisch die Rune geritzt worden, die Bruder Agius erst kürzlich in den Staub der alten Schmiede gezeichnet hatte.
    Alle schwiegen, als sie dieses Schreckensbild sahen. Sogar die Zwillinge.
    Nach einer Weile ging Ansgar ins Haus, zog sich an, nahm seine Waffen, zäumte eigenhändig seine braune Stute und stürmte davon.

XIV
    A m Nachmittag kam die krumme Gunda auf den Hilgerschen Hof gelaufen. Aufgeregt war sie und wieder einmal über alles Geschehene bestens unterrichtet.
    Es hatte bis dahin eine eigentümliche Ruhe im Hause geherrscht. Ansgar war fortgeritten und noch nicht zurückgekehrt. Alle anderen Familienmitglieder, auch Inga, waren stumm ihrer Arbeit nachgegangen. Niemand hatte ein Wort an einen anderen gerichtet, aber dennoch war eine schreckliche Anspannung zu spüren, eine Stimmung des bangen Abwartens und der Angst vor ungeheuerlichen Nachrichten.
    Jedem war durch den grausigen Fund am Morgen deutlich geworden, dass Gernot mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mit den Friesen die Weser hinaufgefahren war. Und jedem war ebenfalls deutlich geworden, dass nur wenige in Frage kamen, die ein solches Zeichen des Hasses und der Rache hinterlassen haben konnten. Niemand zweifelte im Stillen daran, wohin Ansgar aufgebrochen war.
    Inga litt am meisten von allen. Stumpf und weggetreten ging sie ihrem gewohnten Tagwerk nach. Sie machte sich keine Vorwürfe, dass sie tatenlos abwartete. Sie hatte resigniert. Es war nicht aufzuhalten, und zu hoffen war auch nichts mehr. Einer musste an diesem Tage sein Leben lassen. So viel war gewiss, nachdem sie in der Nacht die prophetische Erscheinung der Fylgje gesehen hatte.

    Schon bald wurde die krumme Gunda von allen umringt. Ada, Inga, die Zwillinge, sogar der alte Ulrich, der auf einer Bank in der Sonne saß, sowie die Kinder, Knechte und Mägde waren mit einem Mal aus ihrer Lethargie erwacht und erwarteten mit Bangen die Neuigkeiten, welche die Alte zu berichten hatte.
    Gunda erging sich zunächst in Wehklagen, schlug die Hände vors Gesicht, raufte sich die Haare. Dann schaute sie wirr im Kreis herum und schrie nur:
    »Ihr Armen, ihr Armen, ihr seid verloren!«
    »Sprich endlich und sag uns, was geschehen ist«, fuhr die sonst so ruhige Ada die Frau an.
    »Heute früh«, so begann sie, »kam eine der Mägde vom Meinradschen Hof klagend in unsere Siedlung gelaufen. Er bringt sie alle um, er bringt sie alle um!, schrie sie.«
    Inga ging bei diesen Worten vier Schritte zurück, ließ sich neben den alten Ulrich auf die Bank fallen und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
    »Dann haben sich sofort Liudolf und drei weitere Männer, der Konrad, der Ewald und der Walther, auf den Weg gemacht. Soeben sind sie zurückgekommen und haben berichtet: Euer Ansgar soll wie ein Wilder auf dem Hofe des Meinrad gewütet haben. Im Schlafe habe er sie überfallen, den Meinrad und die Gerda gepackt und an einen Holzpfahl im Hause gebunden. Beide Knechte hat er erschlagen, heißt es, als sie ihrem Herrn zu Hilfe eilen wollten. Die Mägde sind geflohen. Eine in die Siedlung, die andere zu den Mönchen. Dann hat er vor den Augen der Gebundenen alles Vieh im Stall erstochen. Dabei soll er geschrien haben: Sagt mir, wo euer verfluchter Sohn steckt. Doch sie sagten es ihm nicht. Wie ein Rasender ist er dann hinaus und wollte das Haus in Brand stecken, doch in diesem Moment

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