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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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sonntäglichen Gottesdienst auf dem heiligen Berg begrüßen zu dürfen.«
    Inga wurde rot. »Ich werde kommen.«
    »Wunderbar. Zeit für die Vesper. Ich muss gehen. Gott segne dich, Inga von der alten Schmiede.«
    Damit verabschiedete er sich und schlenderte leichtfüßig zurück zur Kapelle.
     
    Und tatsächlich: Mit Hilfe des Mönches Melchior, der sein Versprechen gehalten und sich bei seinem Mitbruder Gregorius schlau gemacht hatte, verfügte Inga nach nur wenigen Wochen über einen solch ausgiebigen Schatz an Tinkturen, Salben, Pasten, Säften und getrockneten Kräutern, dass sie damit das gesamte Heer der Sachsen im Kampfe hätte versorgen können.
    Doch so sehr sie sich auch bemühte, die Menschen blieben misstrauisch. Bei den Kirchgängen, die sie nun wieder aufnahm,
sprach sie Mägde und junge Frauen an, bat die krumme Gunda, für ihre Arzneien in der Umgebung zu werben und eine Auswahl ihrer Kräuter auf dem Sonnenwendfest anzubieten, da sie selbst es noch nicht wagte, auf dieser Feier zu erscheinen.
    Und die Alte, die seltsam gewandelt schien und sich plötzlich mit der jungen Frau durch ein geteiltes Schicksal verbunden fühlte, gab sich tatsächlich sichtlich Mühe, den Menschen von Ingas Kunst zu berichten. Doch niemand verschwendete auch nur einen Gedanken daran, der Frau, die im Hause der Geächteten lebte, in Fragen einer solch wichtigen Angelegenheit wie der Heilkunst zu vertrauen.
    Dabei gab es weit und breit schon seit vielen Jahren niemanden mehr, der sich – abgesehen von den wenigen Hausmittelchen, die sich auf jedem Hofe fanden – ausschließlich mit der Kräuterkunde beschäftigte.
    »Schadenszauber will die betreiben.«
    »Soll ich etwa meine Kinder vergiften?«
    »Wer weiß, was solch ein Trank mit meinem Manne anstellt.«
    So und ähnlich waren die Antworten der Leute, wenn Gunda bei ihnen vorsprach. Und deshalb stand Inga auch noch am Ende des Sommers allein und isoliert da, angewiesen auf Spenden des Mönches Melchior, der ihr hin und wieder Brot vor die Tür legte, was sie nur widerwillig annahm.
    Inga war noch weit davon entfernt zu verzweifeln. Immerhin hatte sie ein Dach über dem Kopf und wenigstens einige Happen zu essen. In den Wäldern wuchsen Beeren, erste Pilze zeigten sich, und mit wenig Mehl und frischen Kräutern ließen sich schmackhafte Suppen kochen. Außerdem hatte Inga noch immer ihre Tiere, die Eier, Milch und manchmal auch Fleisch lieferten. Doch bis zum Winter musste sich etwas ändern.
    Tatsächlich änderte sich alles, denn eines Tages tauchte ein Hund auf dem Grundstück der alten Schmiede auf.

XVI
    E s war gegen die fünfte Stunde. Inga versuchte gerade, in Ermangelung einer Handmühle mühselig das letzte ihr verbliebene Getreide mit Hilfe eines Steines auf dem Amboss zu zerdrücken, als sie von draußen ein seltsames Schnaufen vernahm.
    Sie öffnete nicht die Tür, sondern blickte vorsichtig durch das Windauge. Dort wühlte ein struppiger, grauer Hund auf dem Vorhof und fraß – Inga wollte es kaum für möglich halten – Steine. Wankend, ganz so, als habe er Bier gesoffen, bewegte er sich kreuz und quer auf dem Hofe herum, und als er die beiden Hühner erblickte, die friedlich im Staub herumpickten, fletschte er die Zähne und stürmte auf das arme Federvieh los.
    Im Nu war Inga aus dem Haus. Mit einem Stock bewaffnet, drohte sie dem räudigen Eindringling, der jedoch bereits eine der Hennen totgebissen hatte. Wütend versetzte sie ihm einen Schlag auf den Rücken. Doch anstatt den Schwanz einzuziehen und winselnd davonzulaufen, kam er nun auf Inga zu, sabbernd und seine gelben Zähne fletschend.
    So etwas hatte sie noch nie erlebt. Dieses Tier war vollkommen von Sinnen. Schnell ergriff sie die Flucht und lief eilig ins sichere Haus zurück. Wie ein Werwolf führte sich der Hund auf, sprang von außen an der Holztüre hoch, knurrte und bellte wie wild. Inga saß in der Falle, denn er wollte nicht verschwinden. Stattdessen wütete er weiter auf dem Hofe.
    Die Ziege war das einzige Tier, welches verschont blieb. Sie
stand zum Glück in dem Verschlag neben Ingas Wohnraum. Aber sowohl das zweite Huhn als auch die Kaninchen, obwohl in einen Holzkäfig gesperrt, fielen der Beißwut des verrückten Tiers zum Opfer.
    Inga war hilflos. Ein weiteres Mal versuchte sie, nach draußen zu gelangen, um den Wüterich zu vertreiben, doch wieder fiel er sie an, und beinahe hätte er sie in den Arm gebissen. Erst nach mehr als drei Stunden wankte er davon. Am nächsten

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