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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Sünde des Ungehorsams zu begehen, und machte sich auf den Weg zur alten Schmiede, um Inga über das Ergebnis seiner Erkundigungen zu unterrichten.
     
    »Und ich habe sogar einen Schlüssel mitgebracht«, sagte er stolz.
    »Tatsächlich? Den Schlüssel?«, fragte Inga erstaunt. Melchior hatte inzwischen alles freudig erregt berichtet. Auch Inga und die krumme Gunda, inzwischen Dauergast in der alten Schmiede, waren froh, dass der Mönch ein Mittel gegen die Raserei gefunden hatte. Denn inzwischen kamen die Wölfe tatsächlich selbst am Tage aus ihren Verstecken, irrten auf den Höfen herum, bissen Vieh und mitunter auch Menschen und verreckten, wenn sie nicht erschlagen wurden, bald elendig inmitten der Siedlungen.
    »Nein, Gott bewahre! Natürlich ist es nicht der Schlüssel des heiligen Hubertus. Dieses hier ist ein alter Schlüssel aus unserer Gründung in Hethis. Das Kloster wurde aufgegeben, ist längst verfallen. Doch den Schlüssel zum Vorratsraum, den hatte
unser Cellerar noch verwahrt. Bruder Antonius, ein feiner Mensch, fast ein Freund, möchte ich sagen. Ich erzählte ihm von eurem Unglück und von den Erkenntnissen über die Tollwut aus dem Kloster des heiligen Hubertus. ›Weißt du was, Bruder Melchior‹, sagte er, ›nimm doch einfach diesen hier. Es ist zwar nicht der Schlüssel zum Himmelsreich, aber immerhin zur Vorratskammer unseres alten Klosters. Und wer wüsste nicht, dass eben dieser Raum für die meisten unserer Mitbrüder dem Himmelreich sehr nahekommt?‹«
    Und mit diesen Worten reichte nun Bruder Melchior Inga einen riesigen rostigen Schlüssel.
    »Was soll ich damit?« Inga schaute ihren geistlichen Besucher fragend an.
    »Ich darf es nicht tun«, antwortete Melchior scharf und kurz, ganz so, als befürchte er, Agius stehe gleich hinter der Türe und lausche, um ihn unverzüglich wegen seines Ungehorsams zur Rede zu stellen.
    »Das heißt, ich soll zu den Menschen gehen und ihnen die Wunden ausbrennen? Mit diesem Ding hier? Und dann?«
    »Wie ich schon sagte: Verband, Vaterunser, Beichte und Kommunion. Nicht in den Spiegel schauen. Das ist ganz wichtig.«
    »Niemand hier besitzt einen Spiegel. Und warum dürfte man das nicht?«, fragte Inga.
    »Da bin ich überfragt. So besagen es die Regeln der Brüder aus dem Hubertus-Kloster. Bruder Thomasius hat sie mir nur mündlich überliefert. Ich vergaß ihn nach den Gründen für jede einzelne Handlung zu fragen.«
    »Weil sie sich nicht selbst sehen können, die Werwölfe. Sie besitzen kein Spiegelbild«, flüsterte Gunda geheimnisvoll. Sie hatte die ganze Zeit krumm und unscheinbar dabeigestanden und angestrengt zugehört. Kein Wort, nicht das geringste, durfte ihr entgehen.

    »Wie dem auch sei. Ihr Schaden wird es nicht sein, darauf zu verzichten, sich ein eigenes Bild von sich zu machen«, sagte Melchior.
    »Aber sie werden mir nicht vertrauen«, zweifelte Inga.
    »Nimm Gunda mit. Jeder kennt sie und wird sie auf seinen Hof lassen. Sie wird ein gutes Wort für dich einlegen, nicht wahr, gute Gunda?«
    Er lachte die Alte mit seinen schiefen Zähnen an. Die murrte nur leise.
    »Und du kannst mich nicht begleiten, Mönch Melchior?«, fragte Inga.
    »Auf gar keinen Fall. Bruder Agius hält das Ganze für Scharlatanerie. ›Wie sollen wir ihnen ihr falsches Zauberwerk austreiben, wenn wir selbst nicht besser sind als die Heiden?‹, sagte er. Er darf nichts von alldem erfahren.«
    Inga nickte und schaute stumm auf den rostigen Schlüssel, der schwer in ihrer Hand lag.
    »Was mache ich nur, wenn es nicht gelingt? Sie werden mich binden und ertränken.«
    »Sollte das eintreffen, so werde ich es zu verhindern wissen. So wahr mir Gott helfe und so wahr mich Bruder Agius dafür schimpflich schelten wird. Nun muss ich wieder gehen. Gott segne euch, ihr mutigen Frauen.«
    Und damit verließ er eiligen Schrittes die Hütte.
     
    Gunda, die viel zu neugierig war, um sich vor den »Werwölfen«, wie sie die Gebissenen nach wie vor bezeichnete, zu fürchten, hatte bald ausgekundschaftet, wo überall Menschen von Hunden, Wölfen, Füchsen oder Mardern angefallen und verletzt worden waren.
    Ihr erster Weg führte sie zum Hofe des Liudolf. Wie bei allen Häusern in der nahen Umgebung waren auch hier sämtliche
Türen verriegelt. Trotz des herrlichen Sonnenscheins ließen die Menschen ihre Arbeit ruhen, ließen die Felder und Gärten verdorren und verbargen sich im Dunkel ihrer Hütten. Inga und Gunda mussten ununterbrochen klopfen, rufen und ihr Anliegen

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