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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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alte Schwätzweib sich gerade hinter einer dürren Birke verbergen wollte. Inga winkte ihr freundlich zu. Und es dauerte nicht lang, da stand Gunda tatsächlich vor ihr, auf dem sicheren Wege bleibend und tunlichst das Betreten des verfluchten Grundes meidend.
    »Was machst du hier, Inga vom Meinradhof?«, fragte sie, verwundert und misstrauisch zugleich.
    »Nach dem, was sich zugetragen hat, bin ich nun heimatlos«, antwortete Inga ehrlich.
    Was blieb ihr auch anderes übrig? Ehrlichkeit war die einzige Waffe gegen geschwätzige Neugierde.

    »Wovon willst du nur leben, gutes Kind?«
    »Das weiß ich noch nicht. Spinnen und weben würde ich gerne.«
    »Ha«, lachte Gunda auf. »Wer soll dich spinnen und weben lassen? Und woher Wolle und Flachs nehmen?«
    »Ich weiß, dass es schwierig wird. Aber was soll ich tun?«
    »Böse hat es euch erwischt. Böse, sehr böse. Das hat er nicht verdient, der gute Hilger. Treu und großherzig war er zeit seines Lebens. Alles nur wegen euch und eurer hinterlistigen Familie.«
    »Warum beschimpfst du mich, Gunda?«
    »Warum? Du hast ihnen doch allen den Verstand geraubt. Du warst es. Denn eines ist sicher: So gut und fest die Hilgerschen Männer auch immer waren, schönen Weibern haben sie nie widerstehen können. Auch mir ist der alte Hilger nachgestiegen. Ich habe mich jedoch immer zu wehren gewusst.«
    Inga musste trotz der Beleidigungen, die ihr die Alte entgegenbrachte, lachen. Denn das konnte sie sich nun wahrlich nicht vorstellen.
    »Sei nicht so eitel, Inga. Das könnte dir zum Verhängnis werden.«
    »So boshaft habe ich dich noch nie erlebt, Gunda«, antwortete Inga ruhig.
    »Und außerdem: Wer gestattet dir, dich hier so mir nichts, dir nichts niederzulassen? Gefragt hast du sicherlich niemanden«, zischte das alte Weib.
    »Ich weiß gar nicht, wen ich fragen sollte. Und im Übrigen hat sich jahrelang niemand für dieses Haus interessiert. Alle haben einen Bogen darum gemacht.«
    »Mit gutem Grund, mit gutem Grund«, sagte Gunda mit gedämpfter Stimme und einem Gesicht, das kaltes Entsetzen zum Ausdruck bringen sollte, in Inga aber wiederum nur ein Schmunzeln hervorrief.

    »An wen muss ich mich denn wenden, um hier leben zu dürfen?«, unterbrach sie die Alte.
    »An den Kaiser persönlich«, antwortete Gunda und wandte sich zum Gehen, doch bereits im Umdrehen überlegte sie es sich anders. Denn warum so schnell von dannen ziehen, wenn man noch bleiben und weitere Neuigkeiten über diese unglaublich spannenden Vorfälle der letzten Tage erfahren konnte?
    »Kann ich dir mit etwas dienlich sein, Inga?«, fragte sie plötzlich katzenfreundlich. »Schließlich weiß ich selbst nur zu gut, wie es ist, als Frau einsam und allein zurechtzukommen. Nicht einfach ist das, denn immer muss man auf der Hut vor dem lüsternen Mannsvolk sein. Belagern werden sie dich wie die Wölfe.«
    »Das glaube ich nicht. Und helfen kannst du mir leider nicht. Sicher mangelt es an vielem, aber du bist selbst arm und kannst mir nicht geben, was ich brauche.«
    »Sei nur froh, dass du keine Kinderlein hast. Sei froh. Warum«, und damit wechselte sie abrupt das Thema, »warum nur ist der Ansgar wieder bei den Seinen? Sollten ihn die Mönche nicht besser dem Grafen vorführen?«
    Was sollte Inga nun antworten? Selbst nichts zu sagen, wäre in diesem Fall zu viel gewesen. Diese alte Schlange konnte einem jedes Wort im Munde herumdrehen und auch aus einem Stillschweigen eine böse Geschichte erdichten.
    »Man hat sich geeinigt. Das ist alles, was ich weiß.«
    »Aber dann hat ja dein Bruder tatsächlich den armen Gernot auf dem Gewissen.«
    »Niemand weiß, ob Gernot tot ist.«
    »Sein Pferd ist tot.«
    »Wenn jemand auf Schiffsreise geht, dann braucht er kein Pferd.«
    »Auf Schiffsreise? Die Weser entlang oder wohin?«
    »Genau. Die Weser entlang zum Meer. Dorthin zog es ihn.«

    »Und der Pferdekopf? Warum hat man ihn aufgespießt?«
    »Ein übler Scherz.«
    »Etwa von deinem Bruder?«
    »Das weiß ich nicht. Und sollte es so gewesen sein, dann hat Ansgar es meiner Familie mehr als genug heimgezahlt. Wenn du mich fragst, ist das die gesamte Geschichte.«
    Inga log, aber ihr schien, dass mit dieser Erklärung, die plausibel klang, am wenigsten Schaden angerichtet werden konnte. Gunda war fürs Erste zufrieden und zog mit einem selbstgefälligen Grinsen auf dem Gesicht wieder davon.
    Inga ging zurück ins Haus. Die Taube, die sie mehr durch Zufall als durch Geschick an diesem Tage gefangen hatte, war

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