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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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mache ich nicht. Was, wenn uns ein ganzes Rudel geifernder Untiere anfällt oder gar ein Bär?«
    »Wann hat man hier zuletzt einen Bären gesehen, Gunda?«
    »Warten wir doch besser, bis die Mönche den Weg hierher finden.«

    »Dann gehe ich alleine. Du darfst hier bleiben. Aber nimm dich in Acht, das Flechtwerk dort drüben ist äußerst morsch. Ein kurzer Stoß gegen die Außenwand, und du hast gleich zehn tolle Wölfe vor dir stehen.«
    Inga hatte dies kaum ausgesprochen, da stand die krumme Gunda auch schon neben ihr, bereit, um sich zu den Mönchen in den Wald aufzumachen.
     
    Bruder Melchior betrachtete es als eine Fügung des Herrn, dass vor nur wenigen Tagen einer seiner Mitbrüder von einer Reise aus dem westfränkischen Kloster Andagium heimgekehrt war und die Kunde vom heiligen Hubertus mitgebracht hatte. Die Gebeine dieses Heiligen waren erst jüngst dem besagten Kloster zur Verehrung übergeben worden, aber dennoch wusste man dort bereits Bescheid, wie genau man den Schutzpatron um Ausübung seiner Wunderkraft bitten konnte.
    Hubertus nämlich hatte zu seinen Lebzeiten vom heiligen Petrus höchstpersönlich einen eigenen Schlüssel für die Himmelspforte erhalten, und dieser Schlüssel war ebenfalls in Besitz des Klosters Andagium übergegangen. Hielt man diese kostbare Gabe nun ins Feuer und danach auf die frische, von einem tollwütigen Tier verursachte Bisswunde, so wurde der Teufel, der mit dem Biss in den Körper des Opfers gelangt war, ausgebrannt.
    Ganze neun Tage sollte die Wunde verbunden bleiben, täglich neun Vaterunser mussten von dem zu Heilenden gesprochen werden, er musste regelmäßig beichten und zur Kommunion gehen, außerdem sollte er unbedingt sein Spiegelbild meiden, also nicht in stille Wasser schauen. So war die Regel. Befolgte man sie, so hieß es, erkrankte man auch nach dem Überfall eines rasenden Tieres nicht an der Tollwut.
    Erst wenige Tage waren vergangen, nachdem Inga und Gunda
die Mönche auf dem heiligen Berg aufgesucht und ihnen von der grassierenden Tollwut berichtet hatten. Und schon war es Melchior gelungen, diese frohe Kunde über die von einem Heiligen unterstützte Bekämpfung der Raserei aus dem Kloster zurück zum Berg zu bringen.
    Er hatte nicht wenig Furcht durchstehen müssen, als er so allein den weiten Weg an die Weser und wieder zurück gelaufen war. Denn überall schienen sich die Menschen vor dem tollwütigen Treiben zu verbarrikadieren. Kaum eine Seele war im Freien anzutreffen, und begegnete der Mönch dennoch jemandem, dann erfuhr er schreckliche Dinge. Die Arbeit lag darnieder, erschlagene Hunde säumten den Wegesrand, aber angegriffen wurde Melchior nicht. Er hatte ununterbrochen zu seinem Schutze das Vaterunser gebetet und mit Gottes Hilfe das Glück besessen, auf dem gesamten Hin- und Rückweg nur auf einen einzigen, tatsächlich an der Tollwut verendeten, da schäumenden Dachs zu stoßen.
    Nun würde er die neuen, von dem frisch heimgekehrten Bruder Thomasius eingeholten Informationen über den heiligen Hubertus zu den Menschen seiner Gemeinde tragen.
    Leider plagten ihn in seiner Hoffnung nicht unerhebliche Bedenken. Zum einen: Melchior verfügte nicht über den himmlischen Schlüssel wie seine Mitbrüder aus dem Kloster Andagium. Zum anderen: Die Bisswunden der Menschen in den umliegenden Siedlungen – von vieren hatte er auf dem Rückweg bereits erfahren – waren nicht mehr allesamt frisch. Zum dritten: Bruder Agius würde das Wirken der Mönche im Hubertus-Kloster als neuen und zudem unbewiesenen Aberglauben bezeichnen. Er hielt nichts davon, solche Methoden in eine ganz andere, vom wahren Glauben noch nicht entflammte Welt zu tragen.
    Leider hatte Melchior – ob absichtlich oder versehentlich, darüber
wollte er selbst nicht so genau nachdenken – es im Kloster verpasst, den Vater Prior von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen, mit den Mitteln des heiligen Hubertus auch in dieser Gegend der Tollwut entgegenzuwirken. Doch diese Verzögerung war kein Vorteil, denn nun wäre es Agius, an den er sich als nächste Autorität wenden musste, um ihn um Erlaubnis zu bitten. Und diese Instanz – darüber bestand für Melchior kein Zweifel – war schwieriger zu nehmen als der Vater Prior selbst.
    Tatsächlich untersagte Agius es dem Mitbruder ausdrücklich, selbst Hand an die ohnehin unglücklichen Menschen zu legen und sie unnötigerweise mit einem heißen Schlüssel zu versengen.
    So beschloss der Mönch Melchior schweren Herzens, die

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