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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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reines Glück.«
    »Glück? Gottes Beistand war es, so sagt zumindest Bruder Melchior.«
    »So? Und mit Gottes Beistand erfindet ihr Schauermärchen über Zwerge, Zauberschlüssel und über die Pforte zum teuflischen Reich eurer Totengöttin?«
    »Damit habe ich nichts zu tun.«
    Agius lachte wieder bitter.
    »Aber unternommen hast du auch nichts dagegen. Stattdessen treibst du nun als Wunderheilerin dein Unwesen. Verteilst Amulette mit Zauberrunen, braust unter heidnischem Gemurmel Tränke jeglicher Art und gibst diesen armen Unwissenden Ratschläge, die so gottlos sind, dass ich sie mir nicht einmal mehr in Erinnerung rufen möchte. Noch geht das gut, Frau Inga. Doch schon sehr bald wird sich dir die Kehrseite der Medaille offenbaren. Das ist die Gefahr, wenn man mit dem Feuer spielt.«
    »Wie soll ich deine Worte verstehen?«
    »Was, wenn ein Trank nicht bewirkt, was er bewirken soll? Ja, wenn sogar das Gegenteil eintrifft? Was, wenn Menschen sterben, die du heilen wolltest? Dann wird aus der weißen Magierin eine schwarze Hexe.«
    »Und du, Bruder Agius, willst diesen Wandel heraufbeschwören.«
    Agius schüttete den Kopf. »Du musst wissen, Witwe Inga, der Glaube an schwarze Magierinnen ist allein eine Unsitte deines Volkes. Kaiser Karl sprach weise, als er verordnete, dass die Todesstrafe erleide, wer nach Sitte der Heiden glaubt, irgendeine Frau oder ein Mann sei eine Hexe oder ein Menschenfresser, und sie darum tötet. Doch diese Drohung kümmert euch Barbaren nur wenig. Und nicht nur euch Barbaren. Auch unter meinen Kirchenbrüdern bemerke ich eine bedrohliche Wandlung
in ihren einst so weisen und vernünftigen Ansichten. Allein bin ich machtlos, ich bin ein einfacher Diener Gottes, mir bleibt nur das Gebet. Und davon wisst ihr hier in dieser Gegend nach wie vor nicht das Geringste. Wunder gibt es nicht. Es gibt nur die Hoffnung. Versteht das endlich.«
    »Bruder Melchior hat von Wundern erzählt, die Jesus Christus vollbracht hat.«
    »Du wirst es nicht wagen, dich mit unserem Herrn zu vergleichen.« Agius war plötzlich aufgestanden und schrie Inga an.
    »Ich bewirke keine Wunder. Ich helfe, und damit verdiene ich mein Brot.«
    »Mit welchen Mitteln hilfst du?« Er hatte sich etwas beruhigt, stand aber weiterhin dicht vor Inga, die nun zu ihm aufschauen musste.
    »Bruder Melchior hat mir von der Kräuterkunde der Mönche berichtet.«
    »Und dagegen ist nichts einzuwenden. Ein Mischwerk jedoch aus dieser gelehrten Wissenschaft und euren überlieferten Scharlatanerien, das ist es, was du nun betreibst. Damit stellst du dich gegen uns, gegen unsere Absichten. Du zerstörst, Inga. Du zerstörst die Kirche, die wir zu errichten versuchen.«
    »Aber sie ist doch schon längst errichtet.«
    Agius verdrehte die Augen und schaute lange in den Himmel, dann wandte er sich wieder an sie, seine Stimme klang besänftigter.
    »Ich will nicht, dass du dir aus Unwissenheit selbst ein Leid zufügst. Das ist alles, was ich zu sagen gekommen bin. Nicht umsonst sind es die Mönche, die sich auf die Heilkunst und die Kräuterlehre zu spezialisieren versuchen, und selbst sie unterliegen oft genug dem abergläubischen Einfluss. Ich nenne es nicht teuflisch, was du da treibst. Ich nicht. Andere hingegen könnten es so deuten.«

    Wieder senkte Inga den Blick. Erst als sie spürte, wie er seine Hände auf ihre Schultern legte, schaute sie wieder vorsichtig nach oben. Er fuhr mit dem Handrücken leicht über ihre Wange, sein Gesicht jedoch blieb ausdruckslos, ja beherrscht. Inga wurde mulmig, ihr Herz raste, und am liebsten hätte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt und ihn geküsst, doch das wagte sie nicht.
    In diesem Moment schaute er auf und blickte in die Richtung, aus der vor wenigen Momenten Inga zurück zur Schmiede gekommen war. Ruckartig ließ er sie los, verabschiedete sich linkisch und eilte davon, den Berg hinauf.
     
    Es war Ada, die den Weg entlangkam. In ihren Armen hielt sie ein kleines, eingewickeltes Bündel. Sie ging schnell, ihr Gesicht verriet Verzweiflung.
    Die kleine Rike, ihre einzige Tochter, hustete schon seit zwei Wochen. Das Kind – es zählte gerade zwei Sommer – war nun schon den dritten Tag heiß wie glühende Kohlen. Es aß und trank nichts, war vollkommen erschöpft, konnte aber keinen Schlaf finden. Und immer wieder, nahezu nach jedem dritten Atemzug, wurde sie von einem bellenden, fast schellenartigen Hustenkrampf geschüttelt.
    »Schafhusten« hatte es der alte Ulrich genannt, und die

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