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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Freundin gefunden. Niemals hätte sie all das für möglich gehalten.
     
    Doch leider gab es zwei Menschen, die mit dem, was Inga in diesen Wochen widerfuhr, ganz und gar nicht einverstanden waren. Bei dem einen handelte es sich um den Benediktinermönch Agius von Avennio, bei dem anderen um Ansgar, Sohn des Hilger.

XVII
    D ergeblich war Inga auf der Suche nach dem beruhigenden Katzenkraut gewesen. Normalerweise wuchs es zu Beginn des Herbstes überall dort, wo es feucht und steinig war, doch in diesem Jahr war an den üblichen Plätzen nichts zu finden gewesen. Inga beschloss, am nächsten Tag noch einmal ihr Glück zu versuchen.
    Auf dem steinigen Eschenberg, einer der sieben das enge Tal umgebenden Hügel, würde sie gewiss fündig werden. Hier gab es nahezu nichts als Steine, undurchdringliches Dornengebüsch und einige wenige Eschen. An diesem Ort, so hatte Ulrich einmal erzählt, seien einst Ask und Umbla, die beiden ersten Menschen, aus den Bäumen Esche und Ulme erschaffen worden. Eine unwirtliche, wüste Gegend, in welcher bisher nicht ein einziges Mal der Versuch unternommen worden war, das karge Land urbar zu machen. Dort wuchsen gewiss allerlei Kräuter. Inga war sich dessen sicher, doch sie hatte es bislang vermieden, dorthin zu gehen, obwohl er ganz nah lag, dieser im Gegensatz zu seinen dicht bewaldeten Nachbarn so nackte Hügel. Aber der Weg dorthin würde sie unweigerlich durch die Wälder und über die Felder der Hilgerschen führen. Und diesen Weg wagte Inga noch immer nur unter äußerster Dringlichkeit.
    Diese war nun eingetreten: Am morgigen Tag musste sie unweigerlich ihren Radius erweitern, denn die brachliegenden

    Felder, Wegesränder und Wälder in der Nähe ihrer Hütte waren bereits sämtlich leergesucht. Nicht einmal mehr ein einziger Pilz war zu finden, geschweige denn ein solch kostbares Gewächs wie das Katzenkraut, welches Inga unbedingt benötigte, denn schon jetzt fragten die Leute immer wieder danach. Sie liebten den intensiven Geruch, den seine Wurzeln beim Trocknen verströmten, und die Wirkung des aus ihm gewonnenen Saftes war berühmt, versetzte doch sein Genuss jeden in einen seligen Zustand angenehmer Ruhe. Ein wunderbares Heilmittel bei Schlafstörungen, angewandt auch bei Trauernden oder bei Frauen, die eine Totgeburt verkraften mussten. Darüber hinaus wirkte das Kraut krampflindernd, besonders dann – und das kam in den warmen Jahreszeiten häufig vor -, wenn Magen und Darm empfindlich geschwächt waren.
    Während Inga auf dem Heimweg zu ihrer Schmiede darüber nachdachte, wie sie dieses Kraut, wenn sie es denn fand, möglichst schnell trocknen würde, um all denjenigen helfen zu können, die bereits dringlich danach gefragt hatten, bemerkte sie, dass auf der Bank vor ihrer windschiefen Hütte ein Mann saß und wartete.
    Es war Bruder Agius – müde und entkräftet sah er aus. Offensichtlich hatte er die herannahende Inga noch nicht bemerkt. Traurig und eingesunken hockte er mit aschfahlem Gesicht dort und starrte trüb vor sich hin, die Augen auf den Boden gerichtet. Inga kannte ihn nur wenig und war sich nicht sicher, ob sie ihn besser kennenlernen wollte, aber sie konnte sich denken, was ihn so bedrückte.
    Sie kamen nicht mehr. Die Menschen kamen nicht mehr zu seiner Kirche. Und das musste einen solch heiligen oder vielmehr ehrgeizigen Mann wie Bruder Agius sehr betrüben.
    Während der Zeit der Tollwut war niemand, keine Menschenseele, den weiten, bewaldeten Weg zur Kirche emporgestiegen.
Und nachdem die letzten Füchse und Wölfe verendet waren, schienen die Menschen ganz und gar vergessen zu haben, dass es dort oben auf dem heiligen Berg ein Gotteshaus gab. Ja, sie fanden durchaus wieder den Weg dorthin, auf den Berg. Jedoch nicht, um dem Christengott zu huldigen. Sondern um zum alten Opfermoor zu gehen, wo sie zwar schweigend und ohne Aufsehen zu erregen, aber dennoch in großen Massen, allerlei Gut hineinwarfen: vorwiegend Schnitzereien, welche Schutzgottheiten oder Tiere – besonders Wölfe – darstellten. Man wollte sie nicht wieder gegen sich aufbringen, die Götter und Geister; und was den Christengott betraf, so gab es ja noch immer die beiden Mönche, die Tag und Nacht zu ihm beteten. Das dürfte ausreichen, um ihn milde zu stimmen.
    Agius war dieses Verhalten nicht entgangen, und langsam begann er tatsächlich, alle Hoffnungen zu verlieren. Diese Heiden waren unbelehrbar. Und er, Agius, war nicht der richtige Hirte, um die Geduld aufzubringen, die

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