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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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störrische Herde auf den rechten Pfad zu lenken. Er hatte es zunächst mit Verständnis versucht, dann mit Strenge – vergeblich.
    Möglichst bild- und ereignisreiche Geschichten aus der Bibel ließen sie sich erzählen, blutige Heiligenlegenden vortragen, aber sonst blieben diese Leute uninteressiert. Man konnte ihnen auch keine Angst machen, ihnen nicht drohen, denn Angst hatten sie weiterhin nur vor ihren alten, hergebrachten Gottheiten. Den neuen, milden Gott akzeptierten sie, doch wenn es ernst wurde, Katastrophen zu bewältigen oder schwere Hürden zu nehmen waren, dann dachten sie zuallererst an sie: an Wodan, Thor, Saxnot und wie sie alle heißen mochten.
    Es war ein Fass ohne Boden, und Agius war müde, er hatte keine Kraft mehr. Wochenlang hatte er sich ins Kloster zurückgezogen, hatte Zwiesprache mit Gott gehalten, Gespräche mit dem Prior geführt. Am liebsten hätte er seine Mission als
gescheitert angesehen, sein Amt als Verkünder der frohen Botschaft an die Heidenmenschen niedergelegt, denn er war nicht der Richtige für diese Aufgabe. Damit hatte der verhasste Taddäus Recht behalten.
    Er war zu wenig von dieser Welt. Er versuchte die Menschen zu verstehen, ihr heidnisches Verhalten als Unwissenheit abzutun und sie somit vor anderen zu verteidigen: Ja, das konnte er. Aber selbst in dieser Welt zurechtzukommen, gelang ihm nicht. Er war wahrlich kein Menschenfischer, hatte keinen Zugang zu ihren Seelen. Er war nicht wie sie, und das blieb ihnen nicht verborgen. Sie begegneten ihm höflich, aber mieden ihn, wo sie nur konnten. Niemand suchte ihn, niemand fragte ihn um Rat.
    Melchior hingegen, dem einfältigen Melchior, war es gelungen, einige von ihnen für sich zu gewinnen. Doch das war kein Erfolg für die Christenheit, keine tiefgreifende theologische Belehrung – Erzählungen waren es, möglichst blutiger Art, die sie hören wollten und die er ihnen gerne gab. Doch nach dem Sinn dieser wahllos dahingeplapperten Bibelstellen fragten sie nicht, niemals. Und Melchior, so gut er war, vermochte es ihnen auch nicht zu erklären.
    Alles kehrten sie um, alles neue Wissen vermischten sie mit ihren alten Traditionen. Bruder Melchior, so naiv und gutgläubig, unterstützte dieses Treiben. Aus der leider viel zu schönen Witwe Inga hatte er mit Hilfe des klösterlichen Wissens eine Hexenmeisterin gemacht. Eine heilkundige Kräuterfrau, über die man wundertätige, ja zauberhafte Geschichten erzählte. Und in keiner dieser Geschichten war auch nur einmal, ein einziges Mal die Rede vom Glauben und der Berufung auf Gott und seinen Sohn Jesus Christus. Ja, Melchior war es gelungen, eine regelrechte Wiedergeburt des heidnischen Glaubens heraufzubeschwören.
    So sah sich Agius nun, nachdem er aus seiner Klausur zurückgekehrt
war, vor einem einzigen Trümmerhaufen stehen. Und diese Frau, die er soeben erblickte, die dort den Weg hinaufkam, diese Frau mit ihrem glatten blonden Haar, den grünen Augen und den tausenden von Sommersprossen in ihrem nur leicht von der Sonne gebräunten Gesicht, sie war der Schlüssel zu all diesem Niedergang.
     
    »Ist etwas passiert, Bruder Agius?«, fragte Inga den Mönch, nachdem sie nähergekommen war.
    »Viel ist passiert in der letzten Zeit, zu viel«, antwortete er bitter und erhob sich dabei nicht von seinem Platz.
    Inga wusste nicht, wie sie seine Antwort deuten sollte. Sie befürchtete, Ansgar habe nun tatsächlich ihren vor wenigen Tagen endlich heimgekehrten Bruder aufgesucht und erschlagen.
    »Ist etwas mit meinem Bruder Bero?«
    »Nein. Es geht um dich und das, was du hier treibst.«
    Inga war erstaunt. Mit gerunzelter Stirn ging sie einen Schritt zurück, den Mönch erwartungsvoll betrachtend.
    »Was mache ich falsch in deinen Augen, Bruder Agius?«
    »Es ist nicht verwerflich, wenn eine Frau, die gezwungen ist, allein zu leben, einer ehrlichen Arbeit nachgeht. Wahrlich, dies ist auch in Gottes Sinne. Und selbst das Handwerk der Heilkunst ist ein Gebiet, gegen das nichts einzuwenden ist. Es sei denn, man betreibt es mit Unwissen, mit abergläubischem Unwissen.«
    »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Herr Mönch.« Inga fühlte sich beleidigt.
    »Es war dumm von Bruder Melchior, dir eine solch zweifelhafte Geschichte über die Wunderheilungen durch den Schlüssel des heiligen Hubertus zu erzählen. Sehr dumm. Er hätte bedenken müssen, dass du sie nicht verstehst.«
    »Ich wüsste nicht, was ich nicht verstanden habe. Viele Menschen sind gesund geworden.«

    »Das war

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