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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Zwillinge Berta und Gisela meinten genau zu wissen, was zu tun war, um dem Kind die bösen Geister auszutreiben. In ein Erdloch hatten sie das fiebrige kleine Mädchen gesetzt und den Ausgang mit Dornenzweigen versperrt. Man wollte auf die heilende Kraft der Mutter Erde hoffen. Hörte das Kind auf zu weinen, hatte die Erde es gesund gemacht. Doch Rike hatte nicht aufgehört zu weinen, immer lauter hatte sie geschrien und schließlich so schrecklich zu husten angefangen, dass Ada meinte, es gehe mit der Kleinen zu Ende.

    Ansgar hatte schließlich, die Frauen wegstoßend, seine Tochter aus dem Loch herausgeholt und wieder ins Haus zurückgetragen.
    Das war am gestrigen Tage gewesen.
    Heute hatte sich der Zustand des Kindes noch weiter verschlechtert. Doch es war Erntezeit. Man war in Eile, die lange Zeit der Tollwut hatte die Arbeiten um Wochen aufgehalten, der Herbst war bereits gekommen. Jede Arbeitskraft wurde gebraucht, auch Adas. Sie hatte das sterbende Kind wohl oder übel allein beim alten Ulrich lassen müssen. Während alle anderen auf den Feldern arbeiteten, war sie kurz zum Haus zurückgekehrt, um nach dem Kinde zu sehen. Der Zustand der Kleinen hatte sich weiter verschlechtert, das Fieber war noch mehr gestiegen, und sie begann blutigen Schleim zu husten. In ihrer Verzweiflung hatte sich Ada das kleine Bündel geschnappt und war heimlich zu Inga gelaufen. Es kostete sie sehr viel Überwindung, aber ihre Schwägerin war ihre letzte Hoffnung.
    Als Inga erkannte, was Ada im Arm trug, eilte sie auf sie los und nahm ihr das Kind ab. Ohne Worte liefen sie ins Haus.
    »Wir müssen das Fieber bekämpfen. Zieh sie aus!«, befahl Inga ihrer Schwägerin.
    »Ich kann nicht bleiben, Inga. Wenn Ansgar bemerkt, dass ich das Kind zu dir gebracht habe, wird er kommen und es holen. Ich muss zurück aufs Feld.«
    »Dann geh, Ada, und lass sie bei mir. Ich will dir nichts versprechen, denn es sieht nicht gut aus. Gib mir keine Schuld, wenn sie stirbt.«
    »Die Schuld gebe ich mir, weil ich zu lange gewartet habe.«
    »Geh nun!«
     
    Inga zog das kleine Mädchen aus und legte es an die frische Luft, nachdem sie es in ein Schaffell eingewickelt hatte. Dann
setzte sie im Kessel Wasser auf, schnappte sich einen Eimer und rannte in Windeseile zum nahen Bach. Wieder zurück im Haus, beschmierte sie zwei Leinentücher mit einer Paste aus Birkenwurzel und tauchte sie dann in das kalte Wasser. Diese Tücher wickelte sie der kleine Rike um die dünnen Beinchen. In der Zwischenzeit kochte das Wasser im Kessel. Einen Teil füllte sie in einen Holzbecher, in den sie zuvor ein Säckchen mit getrocknetem Wegerich gelegt hatte, den anderen Teil füllte sie in eine große Schale und warf ein ganzes Büschel »Albenarme« hinein. So hatte ihre Großmutter dieses seltene, aber hochwirksame Kraut genannt, welches die Luft in die Lunge zurückströmen ließ und sich außerdem als köstliches Gewürz für Fleisch eignete.
    Mit der dampfenden Schüssel ging sie hinaus zu Rike. Sie lag dort, vollkommen erschöpft und nur durch den bellenden Husten, der sie ständig schüttelte, bei Bewusstsein gehalten. Inga nahm das Kind auf den Schoß und ließ es den Thymiandampf einatmen. Immer wieder fächerte sie ihr die feuchte, angenehm duftende Luft zu.
    In diesem Moment – welch ein Glück – kam die alte Gunda aus der Siedlung zurück. Sie hatte bei der Ernte helfen wollen, war aber bald vom Liudolf wegen ihres krummen Rückens, der ihr nur langsam zu verrichtende Arbeit möglich machte, fortgeschickt worden. In der alten Schmiede hatte sie mittlerweile ein eigenes Lager und wohnte zum Teil hier, zum Teil in ihrer schäbigen Hütte im Tal.
    »Gunda, gut, dass du da bist! Hol bitte zwei Leinentücher, reibe sie mit der Paste ein, die drinnen auf dem Tisch steht, und tauche sie dann in den Eimer mit kaltem Wasser. Schnell, beeile dich.«
    Den ganzen restlichen Tag über kümmerten sich die beiden Frauen ohne Unterlass um das kranke Mädchen. Sie machten
Wadenwickel, Aufgüsse, verabreichten ihr einen Sirup aus getrocknetem Klatschmohn und einen Tee aus Wegerichblättern.
    »Sie muss viel trinken, und wir müssen es ihr mit Gewalt einflößen. Auf keinen Fall darf sie in die Nähe von Feuer. Der Qualm würde sie töten.«
    »In einen hohlen Baumstamm musst du sie setzen, dann vergeht der Husten, Inga.«
    »Lass das nicht Bruder Agius hören, Gunda, er nennt so etwas schwarze Magie. Aber du hast Recht, auch meine Großmutter hat gesagt: Hustende Kinder

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