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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Almut. »Auch wenn Ansgar tobt und mich verprügelt, sobald er herausfindet, dass ich dich um Hilfe gebeten habe – ich kann nicht anders.«
    »Schon gut, beruhige dich, Almut. Ich weiß selber nicht, ob es tatsächlich hilft, aber ich tue mein Bestes.«
    Und somit wurde auch der junge Heinrich nach Art der Hubertus-Mönche versorgt. Ein Aberglaube, wie Agius nüchtern
dachte, ein Aberglaube, der jedoch in diesem Falle eine durchaus wirkungsvolle und tatsächliche Heilkraft besaß.
    Die Tollwut grassierte in mehr als zehn Siedlungen dieser Gegend. Nahezu alle Füchse, Wölfe und Marder der Wälder erlagen ihr, zahlreiche Hofhunde erkrankten oder wurden im Vorhinein erschlagen. Unzähliges Vieh musste notgeschlachtet werden, und immerhin dreiundzwanzig Menschen waren gebissen worden.
    Zehn von diesen hatte Inga versorgt, und acht von ihnen hatten überlebt. Die restlichen fünfzehn waren eines qualvollen Todes gestorben. Bei ihnen hatte Wochen nach dem Biss die Wassersucht eingesetzt, grausame Krämpfe plagten sie, bis schließlich ihr ganzer Körper gelähmt war und sie dem Tod als Gnade ins Auge blickten. Heide, die Frau des Liudolf, und ein alter Mann von einem Gehöft jenseits des umhügelten Tales hatten es nicht geschafft. Sie waren die einzigen, denen Inga den Schlüssel vergeblich aufgedrückt hatte.
    Als der Sommer vorüber war und sämtliche Raubtiere der Wälder eingegangen oder erlegt worden waren, kehrte die Ruhe zurück. Man zählte die Toten, holte von überall Informationen ein. Und schon bald stellte sich heraus – auch wenn Liudolf anders darüber sprach -, dass Inga, Witwe des Rothger, tatsächlich die Kräfte einer Wunderheilerin besaß.
     
    Und wie es bei Wunderheilungen üblich ist, so rankte sich bald eine bunte Geschichte um den Schlüssel, den Inga bei sich trug. Vom heiligen Hubertus war dabei keine Rede, den kannte man nicht, und außerdem hatte Inga es versäumt, Melchior im Hinblick auf die Heiligenlegende dieses Schutzpatrons genauer zuzuhören, um sie dann an die Patienten weiterzugeben.
    Vielmehr gehörte der Schlüssel, so erzählte man sich, einem sächsischen Jäger. Dieser habe ihn bei der Wildhatz in einem
dichten Urwald im Laub gefunden. Zwerge hatten ihn verloren. Sie hatten von Hel persönlich den Auftrag erhalten, eine Pforte zu ihrer Unterwelt zu bauen. Den Auftrag hatten sie erfüllt, doch den Schlüssel konnten sie der Totengöttin nicht überreichen, da der Jäger ihn bereits an sich genommen hatte.
    Und was fiel diesem schlauen Burschen ein?
    Mir nichts, dir nichts machte er sich auf zum Totenreich und schloss die neue Pforte mit dem ihm nun eigenen, einzigen Schlüssel ab. Das Reich der Hel war zugesperrt.
    Jenes waren glückliche Tage, denn solange die Zwerge brauchten, um ihre selbstgefertigte, eiserne, baumdicke Türe zu zerstören, so lange starb kein Mensch auf Erden. Und selbst als das Reich der Toten wieder offen stand, verlor der Schlüssel seine Wirkungskraft nicht, denn noch immer konnte er nicht alle, aber dennoch einige Menschen vor dem Tode bewahren.
    Unglücklicherweise ging er bald wieder verloren.
    Inga, die Witwe des Rothger, soll ihn in der Esse der alten Schmiede erneut gefunden haben. Hatho, der verfluchte Schmied, hatte ihn aus einem der geschändeten Gräber entwendet und war gerade dabei gewesen, ihn einzuschmelzen, als die Mannen des Grafen ihn gefangen genommen hatten. So hatte der wundersame Schlüssel all die Jahre in der Schmiede gelegen, bis Inga es wagte, das verwunschene Haus zu betreten und sich der ursprünglichen, weißen Zauberkraft dieses Schlüssels zu bedienen.
     
    So ähnlich klang das Märchen, welches sich in diesem Sommer um Inga rankte. Niemand Geringeres als die krumme Gunda war für diese fantasievolle Geschichte verantwortlich, und weil sie so schön war, wollte sie auch jeder gerne glauben.
    Inga war es zunächst recht, stieg ihr Ansehen doch enorm. Bald standen täglich Menschen vor ihrer Türe, baten um Rat
bei Gelenkschmerzen, wollten Säfte gegen Würmer. Frauen fragten nach Fruchtbarkeitstränken, Männer hatten ähnliche Wünsche. Manche kamen mit nässenden Flechten, andere mit Warzen, wieder andere klagten über Schlaflosigkeit, ständigen Schnupfen, triefende Augen, über Mundgeruch, Verstopfung, Zahnfäule. Es gab schier nichts, was Inga an Menschlichem nicht zu Ohren kam, und in vielen Fällen konnte sie tatsächlich Hilfe leisten.
    Sie fühlte sich großartig. Und in Gunda hatte sie eine wahre und treue

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