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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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plötzlich wie ein Seemann auf stürmischer See. Der Holzstapel war ein Schiff auf einem unruhigen Meer. In weiter Ferne qualmte die Abraumhalde immer noch, auch wenn der Rauch viel von der Feuchtigkeit abgegeben hatte, die er im Morgengrauen mit sich getragen hatte. Wellen von schwarzen Gestalten schwärmten über die offen liegenden Kohleberge, unter denen die Transportfahrzeuge um die besten Positionen kämpften. Menschliche Stimmen und tierische Schreie waren so schwach zu vernehmen, dass er glaubte, irgendetwas stimme mit seinem Gehör nicht. Eine durchsichtige Wand trennte ihn von der materiellen Welt. Die aprikosenfarbenen Schwerlaster streckten mit quälend langsamen, aber unglaublich exakten Bewegungen die langen Gliedmaßen ihrer Krane in die Öffnung der Kohlengrube. Plötzlich wurde ihm schwindlig. Er neigte sich vornüber und legte sich auf einen der Birkenstämme.
    Stoppelkopf hatte sich tatsächlich in Luft aufgelöst. Ding Gou'er ließ sich von dem Holzstapel herabgleiten und schritt auf den Sonnenblumenwald zu.
    Er konnte nicht anders: Er musste über sein Verhalten in der letzten Zeit nachdenken. Ein von den höheren Führern des Staates hoch geschätzter Sonderermittler kauerte auf einem Stapel von Birkenholz wie ein junger Hund, der Angst vor dem Wasser hat, und ist nicht mehr in der Lage, seine Umgebung wahrzunehmen. Sein Fehlverhalten drohte zu einem bestimmenden Faktor der Ermittlungen in einem Fall zu werden, der sich zu einem internationalen Skandal ausweiten konnte, falls sich die Anschuldigungen als wahr erwiesen. Ein Fall, der so spektakulär war, dass niemand ihn ernst genommen hätte, wenn man einen Film daraus gemacht hätte. Wahrscheinlich war er ein klein wenig betrunken, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass der junge Mann mit der Stoppelfrisur hinterhältig und nicht ganz normal war, einwandfrei nicht normal. Die Phantasie des Ermittlers schwang sich in die Lüfte; Windböen trugen Flügel und Federn vor sich her. Wahrscheinlich war der junge Mann mit der Stoppelfrisur Mitglied einer Bande, die kleine Kinder fraß, und war schon dabei, seine Flucht vorzubereiten, als er ihn in diesen Irrgarten von Baumstämmen gelockt hatte. Der Weg, den er einschlug, war voll Fallen und Gefahren. Aber die Verbrecher hatten Ding Gou'ers Intelligenz unterschätzt.
    Der Ermittler klammerte sich an seine Aktentasche. In ihr lag, schwer und stahlglänzend, seine Pistole, eine automatische Neunundsechziger aus chinesischer Produktion. Mit der Pistole in der Hand war er kühn, war er mutig. Er warf einen letzten bedauernden Blick auf die Birken- und Eichenstämme, seine bunten Genossen, die Baumstämme. Der Querschnitt der Jahresringe ließ sie zu Zielscheiben werden, und seine Phantasien von einem Treffer genau ins Schwarze hielten an, während seine Beine ihn auf den Sonnenblumenwald zutrugen.
    Dass ein ruhiger, abgeschiedener Ort wie dieser mitten in der brodelnden Geschäftigkeit der Zeche existieren konnte, war ein Beweis für die Macht des menschlichen Willens. Die Sonnenblumen wandten ihm ihre lächelnden Gesichter zu und begrüßten ihn. Aber er ahnte Heuchelei und Verrat hinter ihrem smaragdgrünen und blassgelben Lächeln. Im Tanzen und Rauschen der breiten Blätter im Wind hörte er ein leises, kaltes Lachen. Er griff in die Aktentasche und berührte seine kalte, harte Gefährtin. Entschlossen und mit erhobenem Haupt schritt er auf die roten Gebäude zu. Sein Blick war starr auf die roten Gebäude gerichtet, aber er spürte die greifbare Gefahr, die von den Sonnenblumen rings um ihn ausging. Die Gefahr ging von ihrer Kälte und den weißen Samenkapseln aus.
    Ding Gou'er öffnete die Tür und betrat den Raum. Es war ein langer Weg gewesen, auf dem er viel erfahren hatte, aber jetzt befand er sich endlich in der Anwesenheit des Zechendirektors und des Parteisekretärs. Die beiden Funktionäre waren etwa fünfzig Jahre alt und hatten runde, aufgeblähte Gesichter wie frisch gebackenes Fladenbrot. Ihre Haut war rötlich braun und erinnerte an die Farbe von hundertjährigen Eiern. Beide hatten einen Wohlstandsbauch. Sie trugen graue Uniformen mit rasiermesserscharfen Falten. Ihr Lächeln war freundlich und großmütig, wie dies bei Menschen von hohem Rang häufig der Fall ist. Und sie hätten Zwillinge sein können. Sie ergriffen Ding Gou'ers Hand und schüttelten sie kräftig. Sie hatten Übung im Händeschütteln: nicht zu locker, nicht zu energisch, nicht zu weich, nicht zu hart. Ding

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