Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
einen Roman mit dem Titel Behandelt mich nicht wie einen wilden Hund geschrieben. Es geht um eine Jugendbande in einer Kleinstadt, die keine Gelegenheit zum Betrügen oder Prügeln oder Stehlen oder Rauben findet. Also sagt einer von ihnen: Warum werden wir nicht einfach Schriftsteller? Auf die Konsequenzen einer solchen Äußerung möchte ich lieber nicht im Einzelnen eingehen. Wenn es Sie interessiert, können Sie sicher ein Exemplar des Buchs finden.
    Sie sind Doktorand der Alkoholkunde. Darum beneide ich Sie mehr, als gut für mich ist. Wenn ich Doktorand der Alkoholkunde wäre, würde ich meine Zeit wahrscheinlich nicht darauf verschwenden, Romane zu verfassen. In China, einem Land, das nach Alkohol duftet, kann es da ein Unternehmen mit besseren Zukunftsaussichten und dem Versprechen größeren Erfolgs geben als das Studium des Alkohols? Früher hieß es: «In den Büchern liegen goldene Paläste, in den Büchern liegen Säcke voll Korn, in den Büchern liegen schöne Frauen.» Aber die ältere Weisheitsliteratur hatte ihre Schwächen, und «Alkohol» wäre heute in diesem Zusammenhang angemessener als «Bücher». Denken Sie nur an Abteilungsleiter Jin Gangzuan, den man den Diamantbohrer nennt, Jin Gangzuan, den Mann mit dem unermesslichen Durst, den Mann, der in Jiuguo allgemeine und unauslöschliche Bewunderung genießt. Wo wollen Sie einen Schriftsteller finden, dessen Name auch nur in einem Atemzug mit dem seinen genannt würde? Und deshalb, mein jüngerer Bruder (die Anrede Meister verdiene ich nicht), rate ich Ihnen, auf Ihren Schwiegervater zu hören und nicht den falschen Pfad einzuschlagen.
    In Ihrem Brief schreiben Sie, einer meiner Aufsätze habe Sie dazu inspiriert, Schriftsteller zu werden. Die idiotischen Sätze «Schnaps ist Literatur» und «Menschen, die nichts von Schnaps verstehen, sollten auch nicht über Literatur reden» habe ich im Zustand der Volltrunkenheit geschrieben. Sie sollten sie nicht ernst nehmen; tun Sie es doch, zerstören Sie nicht nur Ihr, sondern auch mein Leben.
    Ich habe Ihr Manuskript sorgfältig gelesen. Ich bin nicht in Literaturtheorie ausgebildet und habe kein großes Talent zur Beurteilung von Kunstwerken. Große Sprüche aus meinem Munde würden nichts bedeuten. Aber ich habe die Erzählung an die Herausgeber der Volksliteratur geschickt, eine Redaktion, in der sich die besten zeitgenössischen chinesischen Kritiker versammelt haben. Wenn Sie ein echtes Tausend-Meilen-Ross sind, bin ich sicher, dass es irgendwo da draußen auch einen Pferdepfleger der Spitzenklasse für Sie gibt. Ich bin gut mit Schnaps versorgt. Trotzdem vielen Dank für die Frage.
     
    Ich wünsche Ihnen Gesundheit und Glück.
    Mo Yan

IV
     
    Alkohol
     
    Liebe Freunde, liebe Kommilitonen, als ich erfahren habe, dass ich zur Wahrnehmung einer Gastprofessur an die Brauereihochschule von Jiuguo eingeladen worden war, fuhr mitten im Winter eine warme Frühjahrsbrise durch mein treues rotes Herz, meine grünen Lungen und Eingeweide und meine purpurfarbene Leber, den Sitz der Zustimmung und Anpassung. Gerade der Qualitäten meiner Leber wegen kann ich an diesem heiligen Katheder aus Kiefern- und Zypressenholz mit seinem Schmuck von bunten Plastikblumen vor Ihnen stehen und diese Vorlesung halten. Wie Sie alle wissen, wird Alkohol, wenn er in den Körper gelangt, zum größten Teil in der Leber abgebaut …
    Jin Gangzuan stand am Katheder im Hörsaal der Fakultät für Allgemeinbildung an der Brauereihochschule von Jiuguo und bemühte sich ernsthaft um seine Lehrverpflichtungen. Für diese seine erste Vorlesung hatte er ein weit reichendes und bedeutsames Thema gewählt: Der Alkohol und die Gesellschaft. Wie es bei genialen Politikern in hoher Position üblich ist, die es bei öffentlichen Reden vermeiden, auf Einzelheiten einzugehen – wie Gott, der vom Himmel herabblickt –, stellte auch er seine Talente als Gastprofessor unter Beweis, indem er Beispiele aus alter und neuer Zeit zitierte, Himmel und Erde zu Zeugen anrief, im Sturmschritt durch Raum und Zeit eilte und es vermied, den eigenen Redefluss durch allzu viele zum Thema gehörige Details zu unterbrechen. Er jagte durch die Wolken wie ein himmlisches Ross, aber er wusste, dass er gelegentlich zur Erde hinabsteigen musste. Rhetorische Floskeln entströmten seinem Mund und wechselten ihr Ziel anscheinend nach Belieben, und dennoch war jeder Satz direkt oder indirekt im eigentlichen Gegenstand der Rede verankert.
    Neunhundert Studenten und

Weitere Kostenlose Bücher