Die Schnapsstadt
Parteikomitee.»
Ich schnaubte verächtlich durch die Nase.
«Was hast du da zu schnauben?», fragte sie. «Hör auf, auf andere herabzublicken und dich selbst für den Klügsten auf der Welt zu halten. Ich werde die neue Leiterin der Beilage Kultur und Leben für unsere Zeitschrift.»
«Meine Glückwünsche, neue Leiterin der Beilage Kultur und Leben», sagte ich. «Ich hoffe, du hast vor, einen Artikel über deine persönlichen Erfahrungen bei einem hysterischen Anfall zu schreiben.»
«Ich soll einen hysterischen Anfall gehabt haben?» Mein Kommentar schien sie zu schockieren. «Ich bin so gut wie jede andere Frau auf der Welt. Wenn irgendeine andere Frau wüsste, dass ihr Mann mit ihrer eigenen Mutter herummacht, hätte sie schon längst ein Loch in den Himmel gebohrt.»
«Komm», sagte ich. «Gehen wir und lassen deine Eltern diese Geschichte ein für alle Mal klären.»
«Ich bin richtig dumm», sagte sie und blieb stehen, als wäre sie soeben aus einem Traum erwacht. «Warum sollte ich dich eigentlich begleiten? Warum sollte ich mitkommen und zusehen, wie diese alte Kuh und du einander schöne Augen macht? Ihr beide mögt ja kein Schamgefühl kennen, aber ich bin da anders. Es gibt so viele Männer auf der Welt wie Haare auf einem Ochsenfell. Warum klammere ich mich eigentlich an dich? Von mir aus kannst du schlafen, mit wem du willst. Mir ist es egal.»
Sie drehte sich um und ließ mich einfach stehen. Der Herbstwind spielte in den Bäumen und ließ goldene Blätter still zu Boden schweben. Meine Frau wanderte durch die Poesie der Herbstlandschaft, und auf seltsame Weise sprach ihr dunkler Rücken von stiller Anmut. Mit Überraschung stellte ich fest, dass die Seelenruhe, mit der sie mich verlassen hatte, so etwas wie das Gefühl hervorrief, etwas verloren zu haben. Meine Frau heißt Yuan Meili, «die schöne Yuan». Die schöne Yuan und die fallenden Herbstblätter waren ein melancholisches Gedicht mit dem aromatischen Duft der Marke General Lei vom Weingut Zhangyu in Yantai. Ich sah ihr nach, aber sie drehte sich nicht um, sie war, wie man sagt, «auf der Suche nach Gerechtigkeit, ohne sich umzublicken». Vielleicht habe ich sogar heimlich gehofft, sie werde noch einmal zurückblicken, aber das tat die zukünftige Leiterin der Beilage Kultur und Leben des Tagesanzeigers für Jiuguo nicht. Sie war auf dem Weg zu ihrer neuen Stellung. Chefredakteurin Yuan Meili. Chefredakteurin Yuan. Chefredakteurin.
Der Rücken der Chefredakteurin verschwand zwischen den roten Wänden und weißen Kacheln der Fischgasse, über der eine Schar gefleckter Tauben in den blauen Himmel aufstieg. Am Himmel schwebten drei gelbe Luftballons, die rote Bänder mit großen weißen Schriftzeichen hinter sich herzogen. Unter dem Himmel stand ein verwirrter Mann. Das war ich, der Doktorand der Alkoholkunde Li Yidou. Li Yidou, du hast doch nicht vor, in den geschwollenen, nach Alkohol duftenden Fluss Liquan zu springen? Nein, warum sollte ich das tun? Meine Nerven sind stark wie Rindsleder, das mit Ätznatron und Glaubersalz gegerbt ist. Man kann sie weder ermüden noch zerreißen. Li Yidou, Li Yidou, schreite voran mit erhobenem Haupt, mit stolzgeschwellter Brust. Wenige Sekunden später hatte Li Yidou die Brauereihochschule erreicht und stand vor der Tür seiner Schwiegermutter.
Ich musste mir endlich darüber klar werden, wo ich stand. Vielleicht würde ich ja eine Affäre mit meiner Schwiegermutter anfangen. Vielleicht war sie ja gar nicht meine Schwiegermutter. Jedenfalls brachte sie mein Privatleben kräftig in Unordnung. Daran konnte kein Zweifel bestehen. An der Tür hing ein Zettel:
DIE HEUTIGE KOCHSTUNDE FINDET IM
LABORATORIUM DER FEINSCHMECKERABTEILUNG
STATT
Ich wusste seit langem, dass meine Schwiegermutter mit ihren überlegenen Kochkünsten der Star der Akademie für Kochkunst war, aber ich hatte sie noch nie in einer Vorlesung erlebt. Li Yidou beschloss, an der Vorlesung seiner Schwiegermutter teilzunehmen und zum Zeugen ihrer Ehrfurcht erregenden Fähigkeiten zu werden.
Ich betrat die Brauereihochschule durch die kleine Hinterpforte und dann das Gelände der Akademie für Kochkunst. Auch hier hing Schnapsduft in der Luft, aber jetzt überlagerte ihn der Geruch von gebratenem Fleisch. Im Hof zwinkerten mir, dem Doktoranden der Alkoholkunde, der von Botanik nichts verstand, zahlreiche seltene und exotische Blumen und Bäume zu. Ein gutes Dutzend Wachleute gingen mit träge schlurfendem Schritt über den Hof.
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