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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Spitze auf ihren Hals richtete und zustieß.
    Ohne an mich selbst zu denken, stürzte ich hinzu, griff nach ihrem Arm und rang ihr das Messer aus der Hand. Ihr Verhalten ekelte mich an. «Verdammt nochmal, du ruinierst mein Leben.»
    Ich warf das Messer mit soviel Schwung auf das Schneidebrett, dass es sich mindestens zwei Finger tief in das Holz bohrte. Man hätte es nur unter Aufwand aller Kräfte herausziehen können. Dann schlug ich mit der Faust gegen die Wand, die von dem Aufprall zitterte. Ein Nachbar brüllte: «Was ist denn bei euch da drüben los?» Ich war so wütend wie ein goldgefleckter Leopard, der in seinem Käfig auf und ab läuft.
    «Ich halt das nicht mehr aus», sagte ich. «Ich kann so nicht leben.»
    Ein Dutzend Mal lief ich durch die Küche hin und her und kam zu dem Schluss, dass ich wohl oder übel bei ihr bleiben musste. Bevor ich die Scheidung einreichte, hätte ich mich genauso gut selbst im Krematorium anmelden können.
    Ich sagte: «Lass uns das ein für alle Mal klären. Deine Eltern sollen das Ganze ein für alle Mal entscheiden. Und wenn wir schon dabei sind, kannst du deine Mutter fragen, ob es jemals etwas zwischen ihr und mir gegeben hat.»
    Sie wischte sich das Gesicht mit einem Handtuch ab und sagte:
    «Gehen wir. Wenn Leute, die Inzest begangen haben, keine Angst haben, habe ich schon gar nichts zu befürchten.»
    «Wer nicht mitgeht, ist das Kind einer Schildkröte», sagte ich.
    «Richtig», sagte sie, «wer nicht mitgeht, ist das Kind einer Schildkröte.»
    Wir zerrten und schleppten einander zur Brauereihochschule. Unterwegs trafen wir auf eine Polizeieskorte, die ausländische Besucher begrüßte. Auf den Motorrädern, die der Eskorte vorausfuhren, saßen zwei Polizisten mit nagelneuen Uniformen, glänzend schwarzen Sonnenbrillen und schneeweißen Handschuhen. Wir unterbrachen kurzfristig unseren Streit und blieben wie zwei Bäume angewurzelt am Straßenrand stehen. Vom Abwasserkanal wehte der überwältigende Geruch von verrottendem Fleisch herüber. Ihre feuchte Hand umklammerte ängstlich und verkrampft meinen Arm. Ich grinste höhnisch zu der Eskorte herüber. Die feuchte Hand meiner Frau ekelte mich an. Ich konnte ihren unglaublich langen Daumen und den grünen Dreck sehen, der sich unter den Fingernägeln angesammelt hatte. Aber ich brachte es nicht übers Herz, die Hand abzuschütteln, die nach Schutz suchte wie ein Ertrinkender, der sich an einen Strohhalm klammert. Verdammte Scheiße, fluchte ich. Eine kahlköpfige alte Frau in der Menge, die der Motorradeskorte ausweichen musste, drehte sich um und sah mich an. Sie trug einen ausgebeulten Pullover, den eine Reihe weißer Plastikknöpfe schmückte. Diese großen weißen Plastikknöpfe lösten in mir einen körperlichen Ekel aus, der bis in meine Kindertage zurückreichte, als ich die Mumps hatte. Ein übel riechender Arzt, dessen Brustkorb große weiße Plastikknöpfe zierten, hatte meine Wangen mit schleimigen Fingern wie die Saugnäpfe eines Kraken berührt, und ich hatte mich übergeben. Der große fette Kopf der Frau lag schwer auf ihren Schultern, das Gesicht war aufgedunsen, die Zähne so gelb wie Messing. Als sie den Kopf hob und mich ansah, zuckte ich zusammen. Ich wollte mich gerade von ihr abwenden und weitergehen, als sie mit kleinen Trippelschritten auf uns zukam. Es stellte sich heraus, dass sie eine Freundin meiner Frau war. Sie schüttelte meiner Frau liebevoll und kräftig die Hand und schob ihren schweren Leib voran, bis es aussah, als wollten die beiden jetzt anfangen, einander zu umarmen und zu küssen. Sie benahm sich, als sei sie die Mutter meiner Frau. Also musste ich natürlich an meine Schwiegermutter denken und darüber nachsinnen, welch geschmackloser Witz des Schicksals daran schuld war, dass eine Frau wie sie eine Tochter wie diese in die Welt setzen konnte. Ich ging allein zur Brauereihochschule von Jiuguo weiter. Ich wollte meine Schwiegermutter fragen, ob ihre Tochter vielleicht ein Findelkind war, das sie aus dem Waisenhaus geholt hatte, oder ob die Schwestern in der Entbindungsanstalt sie bei der Geburt vertauscht hatten. Und was sollte ich tun, wenn es wirklich so war?
    Meine Frau holte mich ein. Sie kicherte, als hätte sie völlig vergessen, dass sie sich noch vor kurzem den Hals abschneiden wollte. Sie sagte:
    «He, Herr Doktorand, weißt du, wer die alte Frau war?»
    Ich sagte, ich wisse es nicht.
    «Das ist die Schwiegermutter von Abteilungsleiter Hu im örtlichen

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