Die Schnapsstadt
vor, er sei ein kleiner Prinz in Not, aber da war keine Prinzessin, die ihn gerettet hätte. Die Luft war kalt und feucht. Seine schmerzenden Hände und Füße verrieten ihm, dass die Temperatur unter null gesunken war. Das Klima der Schnapsstadt erwies sich plötzlich als grausam und fühllos. Die Regentropfen gefroren noch in der Luft und zersplitterten, wenn sie auf dem Boden aufprallten. Graupelschnee bedeckte die Straße. Ein einsames Auto schleuderte und rutschte unter den Straßenlaternen auf einer fernen Straße seines Weges. Die Erinnerung an eine Herde schwarzer Esel, die die Eselsgasse entlangrannten, stieg wie ein halb vergessener Traum wieder auf. War das alles wirklich geschehen? Gab es solch eine seltsame Lastwagenfahrerin wirklich? Hatte man einen Sonderermittler namens Ding Gou'er wirklich nach Jiuguo geschickt, um einen Fall von Kannibalismus aufzuklären? Gab es überhaupt jemanden namens Ding Gou'er? Und wenn es ihn gibt, bin ich das? Er strich mit der Hand über die Mauer. Sie war eiskalt. Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Er war so hart wie ein Fels. Er hustete. Schmerz schoss durch seine Brust. Das Röcheln hallte in weite Ferne, bevor es von der Dunkelheit verschluckt wurde. Das war der Beweis dafür, dass alles wirklich war. Seine Beklemmung hielt an.
Die eiskalten Regentropfen brachten seinen schmerzenden Wangen so viel Linderung wie eine Katze, die mit den Krallen über eine juckende Stelle fährt. Er fühlte, dass sein Gesicht dunkelrot anlief, und das erinnerte ihn an seine schamlose Ohrfeigenschau. Das taube Gefühl kehrte wieder, dann der stechende Schmerz. Auf die Taubheit und das Stechen folgte die Erinnerung an das entsetzte Gesicht der Lastwagenfahrerin, das vor seinen Augen tanzte und nicht weichen wollte. Das entsetzte Gesicht machte einem liebevollen Gesicht Platz, das ebenfalls vor seinen Augen tanzte und nicht weichen wollte. Dann kam das Bild der Lastwagenfahrerin und des Zwergs, die Seite an Seite marschierten, und dann Wut und Eifersucht, die zu einem fremdartigen, billig schmeckenden Schnaps verschmolzen und sich daranmachten, seine Seele zu vergiften. Seine Gedanken wurden klarer, und er erkannte, dass das Undenkbare geschehen war: Er hatte sich in die Frau verliebt. Von nun an waren ihre Leben miteinander verbunden wie ein Paar Heuschrecken auf einem Faden.
Der Ermittler schlug mit der Faust auf die Friedhofsmauer oder den Heiligenschrein, oder was immer es sein mochte, ein. «Schlampe», fluchte er. «Elende Schlampe! Eine elende Schlampe, die für ein paar Dollar den Schlüpfer fallen lässt.»
Der brennende Schmerz in seinen Knöcheln milderte den Schmerz in seinem Herzen. Also ballte er auch die andere Faust und schlug gegen die Mauer. Dann war sein Kopf an der Reihe.
Der Schein einer Taschenlampe fing ihn ein. Einer von zwei Streifenpolizisten fragte streng:
«Heda! Was treibst du da?»
Er drehte sich langsam herum und hielt die Hand vor die Augen. Plötzlich erstarrte seine Zunge, und er verlor die Fähigkeit zu sprechen.
«Durchsuch ihn!»
«Wozu? Der spinnt doch.»
«Hör auf damit! Verstanden?»
«Geh nach Hause! Noch ein Wort, und wir nehmen dich mit.»
Die Polizisten zogen weiter und ließen den Ermittler in der tintenschwarzen Nacht zurück. Ihm war kalt, und er hatte Hunger. Seine Kopfschmerzen wurden immer schlimmer. Die Dunkelheit brachte ihn wieder zu Sinnen. Das kurze Verhör durch die beiden Polizisten hatte ihn wieder an seine ruhmreiche Vergangenheit erinnert. Wer bin ich? Ich bin Ding Gou'er, ein berühmter Ermittler der Oberstaatsanwaltschaft. Ding Gou'er ist ein Mann mittleren Alters, der sich in Bordellen jeder Preisklasse herumgetrieben hat. Er hat keinerlei Grund, wegen einer Frau, die mit einem Zwerg geschlafen hat, den Verstand zu verlieren. «Das Ganze ist absurd!», murmelte er und zog sein Taschentuch aus der Tasche, um die Blutung an seiner Stirn zu stillen. Dann spuckte er einen Mund voll blutigen Speichel aus. Wenn sich in der Staatsanwaltschaft herumspricht, wie idiotisch ich mich benommen habe, lachen sich meine Kollegen zu Tode. Er griff nach dem Holster, um zu kontrollieren, ob das entscheidende Stück Metall noch da war. Es war da. Gleich fühlte er sich viel besser. Es wird Zeit, eine Unterkunft für die Nacht und etwas zu essen zu finden. Eine ruhige Nacht und morgen ausgeschlafen wieder an die Arbeit. Ich gebe nicht auf, bevor ich diese Bande erwischt habe. Er zwang sich, aufrecht zu gehen und keinen Blick
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