Die Schnapsstadt
sprangen aus einem Herd, in dem Kleinholz knisterte und knackte und glühende Asche in die Luft streute. Er roch angebrannte Bohnen und hörte die Wantans im Kochtopf blubbern. Der Duft zog ihn magisch an. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er zum letzen Mal gegessen hatte. Seine Eingeweide zuckten krampfartig und beschwerten sich hörbar. Ihm schlotterten die Knie. Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Er zitterte am ganzen Leib. Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. Kopfüber fiel er vor dem Wantan-Stand zu Boden. Der alte Verkäufer packte ihn bei den Armen und half ihm auf die Füße.
Ding Gou'er keuchte: «Opa, ich brauche ein paar Wantans.»
Der Alte schob ihm einen Schemel unter das Gesäß und gab ihm eine Schale Wantans. Gierig griff der Ermittler nach der Schale und dem Löffel und stürzte sich auf das Essen, ohne zu probieren, ob es heiß oder kalt war. Die erste Schale war bereits in seinem Magen angekommen, und er war noch ebenso hungrig wie zuvor. Selbst vier volle Schalen konnten seine Gier nicht stillen. Doch dann sah er, an sich hinabblickend, dass ein Teil der Wantans seinen Magen verlassen und sich wieder auf den Weg zurück nach oben gemacht hatten.
«Noch ein paar?», fragte der Händler.
«Keine mehr. Was bin ich schuldig?»
«Egal», antwortete der Alte und sah ihn freundlich an.
«Wenn Sie es passend haben, geben Sie mir vier Cent. Wenn nicht, geht es auf meine Rechnung.»
Der Ermittler fühlte sich durch die herablassende Antwort gekränkt und stellte sich vor, er habe eine nagelneue knisternde Hundertdollarnote mit rasiermesserscharfen Kanten in der Tasche, die er dem alten Mann mit spitzen Fingern zuschnippste. Er würde ihm einen überlegenen Blick zuwerfen, sich auf dem Absatz umdrehen und pfeifend weiterziehen. Sein Pfeifen würde das Dunkel der Nacht zerschneiden wie ein scharfes Messer. Das hätte dem alten Mann eine Lektion erteilt, die er nicht so schnell vergessen würde. Unglücklicherweise war der Ermittler pleite. Er schluckte die Peinlichkeit der Situation zusammen mit den Wantans hinunter. Eine Portion nach der anderen stiegen die Wantans aus dem Magen des Ermittlers in die Mundhöhle empor und wurden dort zerkaut und wieder hinabgeschickt. Erst jetzt konnte er sie schmecken. Zutiefst bekümmert dachte er: Ich bin zu einem Tier geworden, einem Wiederkäuer. Seine Wut entbrannte aufs Neue, wenn er an den schuppigen kleinen Dämon dachte, der seine Brieftasche, seine Armbanduhr, sein Feuerzeug, seine Papiere und seinen Rasierapparat gestohlen hatte. Zornig erinnerte er sich an den öligen Abteilungsleiter Jin Gangzuan, an die exzentrische Lastwagenfahrerin, an den berühmten Zwerg Yu Yichi. Sobald er an Yu Yichi dachte, musste er unwillkürlich an den üppigen Körper der Lastwagenfahrerin denken, und die grünen Flammen der Eifersucht loderten wieder auf. Entschlossen wandte er sich von diesen gefährlichen Erinnerungen ab und kehrte zu der peinlichen Szene zurück, in der er die Wantans des Straßenhändlers gegessen hatte und sie nicht bezahlen konnte. Für lächerliche vier Cent bin ich zum Bettler geworden! Ein Held, den ein paar Münzen niedergestreckt haben. Er drehte seine Taschen um: kein Geld, nicht eine einzige Kupfermünze. Seine Unterhosen und sein Unterhemd hingen am Kronleuchter in der Wohnung der Lastwagenfahrerin, die er wie eine feige Ratte verlassen hatte. Die Kälte der Nachtluft drang ihm in die Knochen. Er wusste nicht, wohin. Er zog seine Pistole und legte sie vorsichtig in eine weiße Terrakottaschale mit blauem Blumenmuster. Das Licht brach sich im blauen Stahl des Laufs.
Ding Gou'er sagte: «Opa, ich bin als Sonderermittler hierher in die Provinz abkommandiert worden. Unterwegs bin ich ein paar Schuften begegnet, die mir alles gestohlen haben, was ich dabeihatte, außer dieser Pistole. Glaub bitte nicht, ich sei jemand, der Wantans isst und nicht bezahlt.»
Etwas nervös griff der Alte mit beiden Händen nach der Schale.
«Ein guter Mann», sagte er ängstlich. «Ein wirklich guter Mann! Wie schön für mich, dass Sie ausgerechnet meine Wantans gewählt haben. Und jetzt nehmen Sie bitte dies Ding da zurück. Es macht mir Angst.»
Ding Gou'er steckte die Pistole wieder ein.
Dem Verkäufer erklärte er: «Hör mal, Alter. Da du nur vier Cent verlangt hast, musst du gewusst haben, dass ich momentan mittellos bin. Dass du mir so viele Wantans gegeben hast, wie ich nur essen konnte, obwohl du wusstest, dass ich mittellos
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